Mele insane – verrückte Äpfel – wurden sie im Italien des 15. Jahrhunderts genannt, weil die Menschen den Früchten misstrauten, die von den Arabern nach Europa gebracht worden waren. Heute sind die «Melanzane», so der italienische Name der Auberginen, nicht mehr aus der mediterranen Küche wegzudenken. Denn sie lassen sich in unzähligen Variationen zubereiten, sind gesund und haben kaum Kalorien.

von John Micelli

Im oscarprämierten Film «Ratatouille» der Pixar Animation Studios von 2007 überzeugt ein kleiner Koch den griesgrämigen Restaurantkritiker mit einem einfachen Eintopf: Das namengebende französische Nationalgericht entführt den verbitterten alten Mann mit dem ersten Löffel zurück in die Kindheit, als ein Sommertag und Mutters Kochkunst zum vollkommenen Glück reichten. Der Klassiker aus Südfrankreich wird in Varianten rund um das «Mare Nostrum» serviert: In Italien enthält er als «Caponata» Sellerie oder Fenchel, Spanierinnen und Spanier lieben «Pisto» mit Spiegelei oder Wurst, im «Djuvec» in Südosteuropa wird Hammel- oder Lammfleisch mitgekocht und im Maghreb nennt sich der Eintopf aus frischen Sommergemüsen «Schakschuka». Gemeinsam haben all diese Spezialitäten jene Frucht, die vermutlich schon vor 4000 Jahren in Indien kultiviert wurde und die mit den Mauren bei der Eroberung der Iberischen Halbinsel vor über 1000 Jahren nach Europa gekommen ist: die Aubergine. Als «das rote Herz eines Lamms in den Klauen eines Geiers» besang der arabische Poet Ibn Sara As-Santarini (1043−1123), geboren im heute portugiesischen Santarém, das Nachtschattengewächs der spitzen Kelchblätter wegen.

Christliche Europäer allerdings begegneten der Frucht noch lange Zeit mit Misstrauen: Gabriel Alonso de Herrera verdächtigte in seinem Standardwerk «Agricultura general» von 1513 die Aubergine, Krankheiten wie «schwere Melancholie» zu verursachen: «Sie wurde von den Mauren von Afrika auf unsere Halbinsel eingeführt, um uns Christen damit umzubringen!», warnte der Chronist seine Landsleute. Tatsächlich schmeckt die Aubergine roh nicht nur bitter, sondern ist auch leicht giftig, denn sie enthält wie die verwandte Kartoffel das für Menschen unverträgliche Solanin und geringfügige Mengen Nikotin. Hätten die Reconquistatoren allerdings die Bücher, die ihnen bei der Rückeroberung Spaniens und Portugals in die Hände fielen, gelesen anstatt sie zu verbrennen, hätten sie von den seit Jahrhunderten überlieferten ägyptischen, syrischen und persischen Aufzeichnungen erfahren, wie man die auch «Eierfrucht» genannte Beere schmackhaft zubereiten kann.

Mehr als Fleischersatz
Heute wird die Aubergine selbst im Tessin und am Genfersee angebaut. Die Schweizer Produktion macht aber gerade mal ein Drittel der jährlich in der Schweiz verzehrten Menge von 12 000 Tonnen aus. Auberginen bestehen zu über 90 Prozent aus Wasser, sie enthalten aber auch Kalium und Folsäure, Vitamin B1 und B12, Ballaststoffe – und kaum Kalorien: 18 sind es auf 100 Gramm. Allerdings saugen die Früchte bei der Zubereitung viel Fett auf. Auberginen gibt es in allen möglichen Farben und Formen: in Gelb, Rosa, Grün, Dunkelviolett (hierzulande am weitesten verbreitet) und Weiss sowie Weiss-Violett marmoriert, kommt sie mal klein und kugelig, meist aber länglich und birnenförmig daher. Auberginen können gebraten, grilliert, gefüllt, paniert oder im Bierteig ausgebacken werden, sie werden eingelegt oder püriert: Die levantinische Spezialität «Baba Ghanoush», ein Mus aus grillierten und geschälten Auberginen, Knoblauch, Kreuzkümmel, Zitronensaft und Olivenöl, auch Auberginen-Kaviar genannt, feiert gerade ein Comeback auf vegetarischen Rezeptseiten. Als Fleischersatz während des Fastens und in Kriegszeiten diente die Aubergine in Italien und Spanien aber schon seit dem 16. Jahrhundert – nachdem die Christen ihre Furcht abgelegt hatten: Noch im Spanischen Bürgerkrieg linderte die «Morcilla de guerra» − die «Kriegs-Blutwurst» − die Not der Landbevölkerung. Das Gericht aus gebratenen Auberginen und Zwiebeln, mit Nelken, Muskat, etwas Zimt und Oregano eingekocht, begeistert heute als Brotaufstrich, als Pasta-Sauce oder Ravioli-Füllung.

 

Göttlicher Genuss
Zwar stammt «Solanum melongena» ursprünglich aus den warmen Subtropen, gelagert aber werden Auberginen lieber kühl und dunkel – allerdings nicht im Kühlschrank. In dessen feuchtkaltem Klima verkommen sie zu Gummi. Ideal sind ein Kellerraum und die Abwesenheit von Äpfeln, Bananen oder Tomaten; die strömen nämlich ein Reifegas aus, das die Auberginen schneller verderben lässt. Je nach Zubereitungsart empfiehlt es sich, den Früchten vorher Wasser und Bitterstoffe zu entziehen: Man schneidet sie in Scheiben oder Streifen und bestreut sie mit Salz. Nach 20 Minuten wird die ausgetretene Flüssigkeit abgegossen und das Gemüse gründlich abgespült. Einen starken Eigengeschmack hat die Aubergine dann nicht mehr. Deshalb liebt sie es, mit edlen Ölen und feinen Kräutern gesalbt zu werden, um den Gerichten Fundament und Rahmen zu geben, während andere Geschmäcke glänzen. Die Gesamtkomposition aber wird so dank der Eierfrucht zu einer himmlischen Verführung, wie es eine Spezialität aus Südosteuropa und der Türkei schon im Namen trägt: «İmam bayıldı» − «Der Imam fiel in Ohnmacht» − heissen die mit Tomaten, Peperoni und Thymian gefüllten, in Olivenöl geschmorten Auberginen, die der Legende nach dem Vorbeter vor Entzücken das Bewusstsein raubten. İmam bayıldı kann sowohl warm mit Beilage als auch kalt – zusammen mit anderen sogenannten «Mezze» (nahöstliche Vorspeisen) − serviert werden und ist deshalb ein ideales Sommergericht.