Soll man einem Kind einen Glaubensweg aufzeigen oder warten, bis es ihn später selber sucht und findet? Das rückt eine zentrale Frage in den Mittelpunkt: Soll man mit Kindern beten und wenn ja, wie?
Stephan Leimgruber
Obwohl es nur wenige empirische Erhebungen zum Gebetsverhalten von Kindern gibt, sind zwei gegenläufige Tendenzen erkennbar: Zum einen nimmt das Gebet insofern ab, als viele Zeitgenossinnen und Zeitgenossen sich von der Kirche und von religiösen Praxen distanzieren. Das Morgengebet und Tischgebete sind bei vielen dem Stress gewichen und dauernder sie betörender Musik: Sie gehen umher von morgens bis abends mit Stöpseln in den Ohren. Zum anderen wird bei Kindern wie Erwachsenen festgestellt, dass erstaunlich viele in Zeiten der Prüfung und der Bewährung beten, insbesondere in Zeiten der Auseinandersetzungen und anlässlich von schwierigen Herausforderungen. In solchen Momenten erheben manche die Augen zum Himmel, denken mit einem Seufzer nach oder bekreuzigen sich. Man hat eben das Leben nicht in der Hand und fühlt sich ausgeliefert an höhere Mächte. Oder wenn der Tod überraschend im Bekanntenkreis eintritt, werden doch viele ganz still und zeigen ihre Anteilnahme bei Abschiedsgottesdiensten. Kinder bekommen solche Situationen durch die Eltern mit.
Beten mit Kindern darf kein Zwang und keine Last sein. Vielmehr sollen sie pädagogisch verantwortlich angeleitet werden von Personen, die selbst innerlich überzeugt sind und selbst beten. Diese gefestigte Einstellung können sie den Kindern weitergeben und diese daran teilhaben lassen. Wichtiger als die genaue Einhaltung von bestimmten Abläufen mit Gesten und Worten ist die innere Haltung des Glaubens und des Vertrauens auf den Gott des Lebens und der Befreiung, auf jenen Gott, der immer wieder das Herz aus Stein herausreisst und ein Herz aus Fleisch einpflanzt. Insbesondere das Abendgebet am Bettrand hat grosse Bedeutung für das innere Gleichgewicht der Kinder gezeitigt. Es lässt den Tag gut beenden durch Rückblick und Einordnung. Es stiftet Gemeinschaft mit den Eltern und schenkt Nähe und Geborgenheit.
Fünf Gründe
Der bekannte evangelische Religionspädagoge Friedrich Schweizer erläutert fünf elementare Gründe, aus denen sich ein Gebetsverhalten für Kinder als sinnvoll und hilfreich erweist.
Der erste Grund besagt, dass in der bilderflutartigen lärmigen Welt den Kindern Stille guttut. Ruhig werden, sich sammeln und in eine meditativ-hörende Stimmung eintauchen: Dies ist in Zeiten der permanenten Unterhaltung zu einer grossen Erziehungsaufgabe geworden. Kinder lassen sich von der Stille faszinieren und diese fremde ungewohnte Erfahrung kann durchaus zum Segen werden.
Der zweite Grund liegt im Gebet als Ritual, welches zwar nicht leer, sondern vielmehr kindgemäss sein soll. Mitvollziehbare und verständliche Rituale verleihen Schutz und Sicherheit. Sie geben dem menschlichen Leben Formen, die den Umgang erleichtern und die nicht selbst erklärt werden müssen. Rituale entstammen oft dem Kindergartenalltag. Sie werden häufig mit Liedern ausgeschmückt, können Gefühle transportieren und Stimmungen tradieren. Werden sie wiederholt, kann der Eindruck der Verlässlichkeit entstehen.
Ein dritter Grund für das Gebet mit Kindern hat mit den Erfahrungen der Geborgenheit und des Vertrauens zu tun. Diese stellen sich etwa an der Grenze von Wachheit und Einschlafen ein. In diesen Momenten verlässliche Bezugspersonen an der Seite haben gibt gute Gefühle des Gewollt-Seins, der Heimat und der Anerkennung. All das öffnet das Mitgefühl für andere Kinder und Erwachsene, die nicht in solchen privilegierten Situationen leben wie sie.
Damit ist bereits der vierte Grund angesprochen, nämlich das Gebet mit Kindern. Das bedeutet, dass jemand da ist und zusammen mit den Kindern betet. Diese Gemeinschaft von Eltern (eventuell anderen erziehungsverantwortlichen Bezugspersonen) und Kindern wird gerade beim Beten intensiv erfahren und ermöglicht dichte Momente im Leben.
Der fünfte Grund: Beten ist eine Zeichenhandlung der Hoffnung: Angesichts des Ukraine-Kriegs, im Laufe von Unwettern, Überschwemmungen, Bergstürzen und weiteren Unglücken kann das Gebet vor Angst und Panik bewahren oder in Sorge und Bangen zum Durchhalten anleiten. Beten mit Kindern eröffnet Wege der Hoffnung und der Stärkung. Gerade für das Leben von Flüchtlingskindern und ihren erzählten Biografien wird dem Gebet neue Zuversicht spenden und helfen, mit den Ängsten zu leben.
Aber wie?
Die Sprache des Gebets soll kindgemäss sein und nicht eine altertümliche Kirchensprache. Die Erfahrungswelt der Kinder wird darin abgebildet. Der zurückliegende Tag mit seinen Hochs und Tiefs darf ungeschminkt vorkommen. Erlebnisse des Leids und der Freude, Missgeschicke und Misstritte sollen Gott anvertraut werden. Hierbei darf es auch formelhafte Wendungen geben. Eine gute Mischung von spontanen, selbstformulierten Gebeten mit klassischen Gebeten, wie das Vaterunser und das Ave Maria, vertragen sich durchaus. Gebete können gut mit Gesten untermalt werden. Stille Rituale, Geborgenheit, Gemeinschaft der Betenden und das Lernen der Hoffnung bereichern den Alltag der Kinder. Deshalb sind sie keineswegs aus der Mode gekommen.