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Ob rechter, linker oder religiöser Extremismus – seit jeher erhitzt der Begriff die Gemüter. Als extremistisch werden Bestrebungen bezeichnet, die sich gegen die Prinzipien der freiheitlichen Demokratie richten. Deshalb muss die Demokratie gepflegt und verteidigt werden.

Tom Thieme

 

Die Mitte gilt als demokratisch, die Ränder als extremistisch. Somit verunglimpfe der Terminus Extremismus die politischen Positionen, die nicht der gesellschaftlichen Mitte bzw. den Vorstellungen des Staates entsprechen würden, so der Vorwurf. Tatsächlich geht es beim Extremismus-Ansatz nicht um Ränder und Mitte, sondern um das Verhältnis zum demokratischen Staat, also um die Frage, ob dessen Werte und Institutionen akzeptiert und respektiert oder abgelehnt werden. Denn wer die Demokratie und ihre Defizite berechtigterweise kritisiert, ist deswegen noch lange kein Extremist, im Gegenteil: Wer Missstände aufzeigt und demokratische Alternativen formuliert, trägt massgeblich dazu bei, manche Fehlentwicklungen aufzuhalten. Dort jedoch, wo die demokratischen Grundprinzipien infrage gestellt werden, endet legitime Kritik und beginnt die fundamentale Ablehnung der gesellschaftspolitischen Spielregeln. Was allerdings zutrifft: Der Begriff des Extremismus findet in der politischen Auseinandersetzung vielmals als Todschlagargument gegenüber missliebigen Positionen Verwendung – und das aus ganz unterschiedlichen Richtungen. So werden beispielsweise Zuwanderungskritik, Corona-Demonstrationen und Klimaproteste mitunter pauschal als extremistisch etikettiert, um nur die drei wesentlichen gesellschaftlichen Kontroversen der vergangenen Jahre zu nennen. In der Praxis sieht es jedoch komplizierter aus.       

Denn die theoretische klare Einteilung in Demokratie und Extremismus hat eine wesentliche Schwachstelle: Sie stellt ein Gegensatzpaar, ein Entweder-Oder, dar. Doch in der Realität haben wir es vielfach mit Bestrebungen zu tun, die sich eben nicht einwandfrei dem demokratischen oder extremistischen Spektrum zuordnen lassen. Sie befinden sich quasi in einer Art Grauzone zwischen Demokratie und Extremismus. Das gilt sowohl für Parteien wie die AfD als auch für Protestbewegungen wie die Letzte Generation ebenso wie für intellektuelle Zirkel. Warum ist dies so? Erstens hat es mit dem Bedeutungsverlust der Grossideologien des 20. Jahrhunderts zu tun. Selbst innerhalb der extremistischen Milieus orientieren sich heute nur noch wenige an den Vorbildern von Nationalsozialismus/Faschismus und Kommunismus – zu schmerzvoll waren die Verheerungen der Unterdrückungsapparate und zu wenig Attraktivität geht von den Weltanschauungen vor dem Hintergrund der unerfüllt gebliebenen Utopien von einem goldenen Zeitalter aus. Damit einher geht zweitens, dass viele extremistische Kräfte heute kaum noch streng hierarchische Kaderorganisationen sind, die es in der NS- und SED-Diktatur brauchte, um mit Propaganda und Agitation die «wahre Lehre» zu verbreiten und die Bevölkerung dauerhaft zu mobilisieren. Gegenwärtig handelt es sich zumeist um heterogene Zusammenschlüsse, die sich gleichermassen aus extremistischen und demokratischen Milieus zusammensetzen. Solche Sammelbecken sind meist alles andere als konfliktfrei. Vielmehr wird intensiv um die programmatische Ausrichtung (immanente oder fundamentale Kritik am System), das Handlungsspektrum (legal oder illegal) und nicht zuletzt um den Umgang mit Extremisten in den eigenen Reihen (Einbinden oder Ausschliessen) gerungen. Drittens verschleiern Extremisten nicht selten ihre wahren Absichten. Sie tun dies einerseits, um staatlichen Repressionen zu entgehen, andererseits, um nicht mit zu viel Radikalität bestimmte Anhängerschaften über das eigene extremistische Milieu hinaus zu verprellen.

Die Ablehnung der Demokratie setzt nicht zwingend strafbare oder gar gewalttätige Mittel voraus. Die Feinde der Freiheit können auch auf legalem Weg an die Macht gelangen und die Demokratie von innen heraus beseitigen, wie das Ende der Weimarer Republik gezeigt hat. Umgekehrt läuft nicht jede politisch motivierte Straftat auf die Abschaffung der Demokratie hinaus. Gegner der Corona-Massnahmen oder Klimaaktivisten mögen sich radikaler, teilweise strafbarer Mittel bedienen, ohne dass deswegen die Grundsätze des demokratischen Verfassungsstaates infrage gestellt werden. Der Extremismus stellt folglich ein Ziel dar – die Demokratie abzuschaffen. Straf- und Gewalttaten sind dagegen ein Instrument politischen Handelns. Deckungsgleich sind die beiden Dimensionen nicht. Darum führen auch staatsanwaltliche Ermittlungen bezüglich einer «kriminellen Vereinigung» wie gegen Mitglieder der Letzten Generation, was den Extremismus angeht, in die Irre. Kriminelle Gruppierungen wie Clans oder Angehörige der organisierten Kriminalität begehen vielfältige und schwere Straftaten, richten sich dabei allerdings nicht gegen die demokratische Grundordnung – im Gegenteil: Unter den Bedingungen der liberalen Demokratie ist für sie illegales Handeln mitunter einfacher als in einem autoritären Überwachungsstaat.

Stark gekürzte Zusammenfassung einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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