Einer der häufigsten Aufrufe in unserer Zeit scheint der nach Wandlung zu sein. Viele traditionelle Institutionen haben ausgedient, weil zu lange dem Herkömmlichen und Bekannten verhaftet. Wandlung im Kollektiv und beim einzelnen Menschen ist angesagt. Doch wie gelingt eine solche Erneuerung?               

Barbara Zanetti

 

Für Leta, aufgewachsen in den Hochalpen der Schweiz, stellte sich in der Lebensmitte eine schmerzliche Krise ein. Sie hatte alles erreicht, was sie anstrebte: anerkannte Ausbildungen und Diplome, Heirat und Kinder, Verbindung von Mutterschaft und Beruf, Haus und Ferienhaus etc. Trotzdem kam ihr das Leben nicht erfüllt vor. Sie war immer bestrebt gewesen, alle Entscheidungen nach der Stimmigkeit mit Gott zu treffen. Sie sah nicht, was sie anders hätte machen können. Und trotzdem fehlte das Wesentliche. Es stellte sich eine Ahnung ein, dass ihr Leben sich dem Ende zuneige, sie bald sterben würde. In einer therapeutischen Sitzung tauchte sie dann tief ins Unbewusste ein und ging durch eine Nahtoderfahrung. Sie erlebte Höhen und Tiefen von Hölle, Fegefeuer und Paradies. Zuletzt erfassten sie eine Wonne und Glückseligkeit in unbekanntem Ausmass. Sie erwachte wie aus einem Traum mit der Erkenntnis, dass auch das irdische Leben ein Traum ist. Seither erfährt sie eine tiefe Beziehung zu Christus, den Engeln und dem göttlichen Urgrund. Ihr Leben ist grundsätzlich gewandelt, erfüllt und immer wieder neu. (Entnommen aus: Leta Vonzun/Franz-Xaver Jans, Tore zum Licht – Engel sprechen, Kösel 1996)  

 Solches Erleben wird in der heutigen Zeit einer immer grösseren Zahl an Menschen möglich. Diese Erfahrungen laden ein, uns selber zu fragen: Sind wir eigentlich glücklich? Erfüllen uns eine Freude und ein Friede, die unabhängig sind von dem, was wir im Moment gerade erleben? Haben wir die Quelle in uns gefunden, aus der wir immer schöpfen können, auch in Krisen und Herausforderungen?                                                                                                                                       Von Jesus wird berichtet, dass er immer wieder Menschen angesprochen habe zu einem Leben in Fülle. Im Bild vom Gastmahl erinnert er uns, dass wir alle eingeladen sind zu einem Fest bei Gott. Dass eine bedingungslose Liebe von unserem Schöpfer uns heimholen will in ein Leben ohne unnötige Sorgen und Lasten. Eine jede, ein jeder von uns ist einmalig und kostbar, ein Geschöpf des göttlichen Geheimnisses. Dieses Ewige ist das Zentrum, die Essenz von allem Leben. Es ist die Quelle, von der wir herkommen und wohin wir irgendwann zurückkehren werden. Sie liegt in unserem Herzen verborgen und ist uns immer nahe, ob wir es wissen oder vergessen haben.                                                                                                              Was hinderte denn aber die Menschen dazumal und auch heute noch, diese Einladung anzunehmen und an das Fest zu gehen? Es hat zu tun mit unserer Prägung in dieser Welt, die ja eine Welt der Polarität ist. Wir sind geprägt durch unsere Erfahrungen als Neugeborene, als wir Zuwendung und Liebe von aussen erhielten. Die Eltern und die Umgebung formen uns und unseren persönlichen Wert, indem sie sagen: «Du bist gut oder schlecht.» So nehmen wir unser Zentrum ausserhalb von uns wahr. Und unser Wohlbefinden hängt davon ab, ob wir Anerkennung und Zuneigung von anderen Menschen erhalten. Wir suchen sie in der Partnerschaft und beim Chef, bei der Nachbarin und von unseren Kindern. So werden subtile Abhängigkeiten kreiert, welche wir zu verschleiern versuchen. Und unser Handeln wird zu einem ständigen Kontrollmechanismus, hinter dem unsere verborgene Angst steht, keine Macht zu haben oder sie zu verlieren.                               

  Die Erfahrung von Leta zeigt, dass eine Ahnung in uns ist, dass die Erfüllung von Wünschen und persönlichen Bedürfnissen nicht alles bedeutet. So wie Antworten auf Fragen neue Fragen kreieren, so rufen erfüllte Bedürfnisse nach neuen Wünschen. Leta hat erfahren, dass «sie beide Hände voll hatte» und trotzdem das Wichtigste fehlte. Eine intensive spirituelle Krise, welche sich in depressiver Weise äusserte, brachte sie auf die Suche, liess sie tiefer fragen. Jesus spricht an manchen Stellen davon, dass dieses Loslassen auf eine Art notwendig sei, um Gott zu erfahren. Die vollen Hände müssen sich leeren, sonst hat nichts Neues Platz. Darum waren um Jesus herum viele Menschen, die arm, krank waren und am Rande der Gesellschaft lebten, welche seine Botschaft verstanden und sich um ihn scharten. Macht, Status und Ansehen, Geld und Besitz können damals wie heute so abhängig machen, dass das, worum es wesentlich im Leben geht, vergessen wird. Abgehalftert, abgesetzt, Einfluss verloren, seiner Stellung beraubt sein, ersetzt, entlassen, entmachtet worden sein kann den Wendepunkt darstellen zu einer Neuorientierung. Abgehalftert, wörtlich genommen, bedeutet, einem Pferd das Halfter abnehmen. Das Tier wird befreit vom Zaum, mit dem es geführt wurde. So können auch für uns äussere Verluste, eine unerwünschte Wendung des Lebens, ein Weg werden zur Wandlung, zur Freiheit. Wie das Beispiel von Leta zeigt, geht es um die innere Haltung, nicht darum, dass wir eine negative Askese pflegen. Es kann möglich sein, dass wir Gott erfahren und äusserlich ein Leben in Fülle leben. Essenziell ist, was Vorrang hat in unserem Leben, von wem wir uns leiten lassen.