«Wir sind jung, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!» Mit diesem Ausruf demonstrierten Schülerinnen und Schüler in den letzten Jahren auf den Strassen angesichts der ökologischen Krise für mehr Klimaschutz. Bei einem solchen gesellschaftlich und politisch relevanten Thema liegt es auf der Hand, dass der Klimaschutz auch Inhalt des Religionsunterrichts sein muss. 

Christian Cebulj 

Es sind die Jugendlichen der Generation Greta, die überall auf dem Globus bei Klimastreiks ins öffentliche Bewusstsein bringen, dass es sich bei der gegenwärtigen Form der Umweltzerstörung um den Höhepunkt einer kritischen Entwicklung handelt, die niemanden kalt lassen darf. Die kürzlich vorgestellte Studie «Junges Europa 2022» kommt zu dem Ergebnis, dass junge Menschen in Europa heute den Klimawandel und dessen Folgen mehr noch als den Ukraine-Krieg und die Corona-Pandemie als grösste Bedrohung der Zukunft fürchten. Und es sind besonders die Jugendlichen, die sich gerade auch in diesem heissen Sommer 2022 mit Waldbränden und Niedrigwasser Sorgen machen, dass es die Menschheit nicht schaffen könnte, den lebensbedrohlichen Prozess der Erderwärmung zu stoppen oder umzukehren.  

Bei einem solchen gesellschaftlich und politisch relevanten Thema liegt es auf der Hand, dass der Klimaschutz auch Inhalt des Religionsunterrichts sein muss. Nachhaltigkeit ist eine Forderung, die im religiösen Kontext unmittelbar Fragen nach der Schöpfungsverantwortung und dem christlichen Menschenbild hervorruft und von dort nochmals einen neuen Sinnhorizont erhält. Im Wesentlichen gibt es eine bildungspolitische, eine theologische und eine religionspädagogische Motivation, die dazu geführt hat, dass sich sowohl die wissenschaftliche Religionspädagogik an den Universitäten als auch der schulische Religionsunterricht und die Katechese in den Pfarreien mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen. Nehmen wir diese drei Argumente genauer unter die Lupe.    

Das bildungspolitische Argument: neun Grenzen und 17 Ziele
Die Politik beschäftigt sich auf allen Ebenen damit, dass die Welt durch den Klimawandel aus den Fugen zu geraten droht. Das Jahr 2020 war das zweitwärmste Jahr seit dem Beginn der Aufzeichnungen 1881. Belegt wird die ökologische Krise durch das Modell der planetaren Grenzen, die vom Stockholm Resilience Centre beurteilt werden. Darin haben 28 international renommierte Forschende neun Prozesse identifiziert, die die Stabilität und Resilienz des Geosystems regulieren. Im Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 werben die Vereinten Nationen für eine bildungspolitische Offensive, die weltweit dazu beitragen soll, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden. Ebenfalls 2015 wurden 17 Ziele formuliert, die «Sustainable Development Goals» (SDGs) der Agenda 2030, welche helfen sollen, die gigantischen globalen Aufgaben zu lösen, vor denen die Menschheit durch den menschengemachten Klimawandel steht: 1. keine Armut, 2. kein Hunger, 3. Gesundheit und Wohlergehen, 4. hochwertige Bildung, 5. Geschlechtergleichheit, 6. sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen, 7. bezahlbare und saubere Energie, 8. menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, 9. Industrie, Innovation und Infrastruktur, 10. weniger Ungleichheiten, 11. nachhaltige Städte und Gemeinden, 12. nachhaltiger Konsum und Produktion, 13. Massnahmen zum Klimaschutz, 14. Leben unter Wasser, 15. Leben an Land, 16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen, 17. Partnerschaften zur Erreichung der Ziele.  

Das theologische Argument: Schöpfungsglaube und Menschenbild
Der theologisch-ethische Beitrag der christlichen Umweltethik zur Nachhaltigkeit basiert auf dem Schöpfungsglauben der Bibel. Dabei ist der prominenteste Text Gen 1,1-2,3, wo die Erschaffung der Welt in einem Sieben-Tage-Schema festgehalten ist. Der Auftrag des Menschen wird in Anlehnung an die Luther-Übersetzung gerne als «Macht euch die Erde untertan» übersetzt (Gen 1,28). Daraus wurde später fatalerweise der Freibrief an den Menschen abgeleitet, die Erde zu seinen Gunsten ausbeuten zu dürfen. Gegen eine solch einseitige Bibel-Lektüre wird heute betont, dass der Mensch in den Schöpfungsgeschichten der Genesis einen doppelten Auftrag erhalten habe, nämlich einen «Herrscher- und Gärtnerauftrag». Damit ist auch ein konkretes Menschenbild verknüpft: Aus schöpfungstheologischer Sicht ist die ethische Basis nachhaltiger Entwicklung eine «verantwortete Haushalterschaft» des Menschen, der als Ebenbild Gottes (Gen 1,26) Verantwortung für die Schöpfung als «Haus des Lebens» für alle Kreaturen trägt.  

Dabei genügt es aber nicht, auf die Texte der Bibel als Handlungsorientierung hinzuweisen. Vielmehr müssen die biblischen Texte in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts übersetzt werden. Ähnlich wie der christliche Gedanke der Karitas bzw. Diakonie jahrhundertelang nur tugendethisch verstanden wurde und erst in Verbindung mit dem sozialethischen Gedanken der Solidarität politisch wirksam wurde, so braucht auch der Schöpfungsglaube eine Übersetzung in die ethischen Kategorien unserer Gegenwart, damit er politikfähig werden kann. Mit anderen Worten ist eine christliche Umweltethik erst dann politisch wirksam, wenn sie sich in verbindlichen Konsequenzen, in organisatorischen Strukturen und in wirtschaftlichen Entscheidungen abbildet. Interessanterweise wird in den Klimadebatten der letzten Jahre ein Aspekt immer deutlicher: Nachhaltigkeit ohne Schöpfungsglauben (sei er jüdisch, christlich oder anderweitig religiös begründet) läuft Gefahr, ethisch zu verflachen. Damit kommt den Religionen im weltweiten bildungspolitischen Prozess für mehr Klimaschutz eine wichtige Rolle zu, denn einem rein säkularen Verständnis von Nachhaltigkeit kann leicht die Tiefendimension fehlen.   

Der Umweltethiker Markus Vogt ist der Meinung, dass die Religionen mit ihren normativen Werthaltungen einen wesentlichen Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz leisten können. Das gelingt am besten, wenn die Religionen über ihre eigenen Grenzen hinaus global verstanden werden. Jüdische, christliche und islamische Schöpfungstheologie müssen daher im Sinne einer ‹öffentlichen Theologie› ihre Leitbegriffe so plausibel und verständlich formulieren, dass auch Anders- oder Nicht-Gläubige für die damit verbundenen Werthaltungen und Handlungsoptionen zu gewinnen sind. Hier zeigt sich sehr deutlich, wie ‹religionsproduktiv› der Nachhaltigkeitsdiskurs ist, da er existenzielle Fragen nach der langfristigen Zukunft der Erde und der globalen Verantwortung des Menschen stellt. Von daher werden gerade die Religionen kritisch nach ihrem Beitrag zur Problembewältigung befragt und dürften künftig noch stärker als bisher bedeutende Akteure der politischen Debatten um Nachhaltigkeit und Klimaschutz sein.

Religiöse Bildung für Nachhaltigkeit
Wer heute Religionslehrerinnen und Religionslehrer fragt, wo der Klimaschutz im Unterricht vorkommt, erhält häufig die Antwort: «Mit der Umweltfrage beschäftigen wir uns doch immer schon. Das gehört einfach zur Interpretation der biblischen Schöpfungsgeschichten.» Diese Kolleginnen und Kollegen haben Recht, denn der Religionsunterricht hat Pfunde, mit denen er wuchern kann: globales Lernen, ethisches Lernen zu ökologischen Themen, Schöpfungsdidaktik. Doch das alles ist nicht schon von selbst religiöse Bildung für nachhaltige Entwicklung (rBNE). Vielmehr bedarf diese einer Didaktik, die zu einer religiös begründeten ethischen Positionierung der Schülerinnen und Schüler zugunsten eines gemeinsamen guten Lebens («Buen Vivir») führt.  
 

Dazu sind die meisten Schülerinnen und Schüler durchaus bereit: Jüngere religionspädagogische Studien belegen interessanterweise den Zusammenhang von Religiosität und Bereitschaft zum Umweltschutz. So pflegen Jugendliche, die an eine Weltschöpfung glauben, eine Beziehung zur Umwelt, die respektvoll und interessiert ist. Negativ-theologische Deutungen gehen mit einer besonderen Sorge um die Umwelt einher. Panentheistische Schöpfungsvorstellungen korrelieren signifikant mit der Bereitschaft zum Umweltschutz. 

Die Religionspädagogin Katrin Bederna betont vor diesem Hintergrund, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) religiöse Bildung brauche, weil die in Zukunft nötigen globalen Transformationen nicht allein technische Veränderungen seien. Es bedarf nicht allein der ‹Effizienz› zum Beispiel bei der Energienutzung, der ‹Konsistenz› in Bezug auf die geschlossenen Kreisläufe aller Ressourcen, sondern auch der ‹Suffizienz›, also einer Haltung des Weniger und des Anders im Sinne eines neuen Lebensstils: weniger Fahrzeuge, andere Mobilität, anderer Konsum. Umgekehrt braucht religiöse Bildung BNE, denn Glaubensinhalte sind immer kontextuell. Die ökologische Situation führt zu neuen Fragen der Kinder und Jugendlichen nach Sinn, Ordnung und Hoffnung, denn religiöse Antworten auf diese Fragen bleiben von der ökologischen Krise nicht unberührt: Was bedeutet es für die Frage nach der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, wenn die ökologische Sünde ins Unermessliche wächst? Was bedeutet es für den Schöpfungsgedanken, wenn ein Geschöpf sich über alle Massen ausdehnt? Was bedeutet die ökologische Krise für das Vertrauen in einen rettenden Gott, der am Ende alles zum Guten führt?  

Die ökologische Krise als politische Schlüsselfrage unserer Zeit ist ein Kontext, auf den der Glaube von Kindern und Jugendlichen Antworten sucht. Im Rahmen einer religiösen Bildung für nachhaltige Entwicklung (rBNE) können Religionsunterricht und Katechese zeigen, dass die jüdisch-christliche Tradition mit ihrer Schöpfungstheologie und ihrem Menschenbild überzeugende und politisch tragfähige Antworten bereithält. Religiöses Lernen für nachhaltige Entwicklung ist damit nicht einfach eine modische Welle, auf welcher der Religionsunterricht als ‹Trittbrettfahrer› mitsegelt. Glaube und Klimaschutz hängen deshalb existenziell zusammen, weil die jüdisch-christliche Religion bereits in der Bibel als ihrer Gründungsurkunde konkrete Ideen für eine ganzheitliche Ökologie bereithält. Diese gilt es für die politischen Diskurse unserer Tage fruchtbar zu machen. Deshalb gilt für Religionsunterricht und Katechese nicht nur freitags: Every day for future.