Der Engelberger Benediktiner Markus Muff wirkt seit 18 Jahren in Rom für den Abtprimas. Er organisiert für Projekte der Benediktiner die Finanzierung und kümmert sich um die Umsetzung. Dabei ist auch eine gewisse Nähe zum Papst entstanden, in seltenen Fällen auch ein direkter Kontakt. Pater Markus Muff beschreibt hier, wie er den Papst erlebt.

Papst Franziskus wurde am 13. März 2013 als 266. Papst der Römisch-Katholischen Kirche gewählt. Die Medien aus aller Welt richteten sich rund um die Sixtinische Kapelle, damit sie sofort den Rauch aus dem Kamin wahrnehmen und übertragen konnten. Es blieb naturgemäss nicht bloss bei der trockenen Kommunikation eines Wahlergebnisses. Die Wahl eines Papstes wird auch kommentiert. Und zwar aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln. Die ersten Kommentare sprachen noch von einer Überraschung – «kein Europäer» –, doch bald wurde bekannt, dass bereits bei der Wahl von Josef Kardinal Ratzinger am 19. April 2005 ein hochrangiger Kleriker aus Argentinien weit vorne im Rennen gewesen war; eben Kardinal Bergoglio. Wenn es denn so war, wie Andrea Tornielli von Vatican-Insider schrieb, hatte Bergoglio im Konklave von 2005 bereits viele Stimmen der 115 wählenden Kardinäle erhalten. Bergoglio verzichtete zugunsten einer effizienten Wahl von Kardinal Ratzinger.

Zwei Brennpunkte einer Ellipse

Papst Benedikt und Papst Franziskus waren also schon seit 2005 in einer gewissen «competition» unterwegs. Zwei unterschiedliche Repräsentanten der einen Katholischen Kirche. Ich finde es sehr angemessen, dass sich nicht einfach eine einzige doktrinäre Linie durchsetzen kann – denn selbst unser Römisch-Katholischer Glaube lässt Raum für Interpretation und Deutung. Vielleicht repräsentieren die beiden Päpste innerhalb des Kardinal-Kollegiums (also innerhalb einer recht homogenen und bestimmt kirchentreuen Gruppe) die beiden Brennpunkte einer Elipse. Persönlich würde ich nicht so weit gehen, die zwei Päpste als Gegensätze zu sehen – aber eben doch als Vertreter zweier unterschiedlicher Brennpunkte. Ihre Meinungen und theologischen Standpunkte sind offensichtlich nicht deckungsgleich. Sie ergänzen sich.

Papst Benedikt war der scharfsinnige und eloquente deutsche Professor auf dem Stuhl Petri. Papst Franziskus ist der pastoral denkende und beherzt gesellschaftlich agierende Seelsorger «vom Rand der Welt». Beides braucht es in der Nachfolge Jesu: die genaue wissenschaftliche Arbeit der Theologen und den zupackenden Arm der Pragmatiker, dem die Armen und Ausgegrenzten ein besonderes Anliegen sind. Man könnte nun Brennpunkte gegeneinander ausspielen – oder man könnte sie (mit Vorteil) als notwendige Ergänzung betrachten.

Entgegen aller halblaut vorgetragenen Kritik nehme ich Papst Franziskus als einen theologisch versierten und gebildeten Mann wahr, der ausgezeichnete Bibelkenntnisse erworben hat. Seine täglichen Predigten in der «Hauskapelle» atmen den Geist des Evangeliums und fordern immer wieder zu neuartigen Sichtweisen auf. Gerade diese Momente zeigen uns seine existenzielle Identifikation mit dem Wort Gottes. Vielleicht bedenken wir zu wenig, dass ein Leben und der konkrete Dienst «im Weinberg des Herrn» einen Menschen auch formen. So wie theologische und wissenschaftliche Arbeit an den Universitäten und im Umgang mit intellektuell anspruchsvollen Studierenden einen Priester auf eine bestimmte Art formt, so modelliert auch der Umgang mit den Ausgegrenzten, den Armen, den Bewohnern der Favelas und der (desolaten) Mega-Städte einen Menschen.

Papst Franziskus – gewählt am 13. März 2013 – ist gewiss der richtige Papst zur rechten Zeit. Angesichtrs des gewaltigen Arbeitsaufkommens gibt es viele Personen im Umfeld von Papst Franziskus, die für ihn und mit ihm arbeiten, seine Entscheidungen vorbereiten, seine Predigten skizzieren, seine Verlautbarungen und Dokumente entwerfen. Auch gibt es einen ganzen Tross von Organisatoren und Managern, welche seine Reisen organisieren und seine Audienzen, Auftritte und Ansprachen vorbereiten. Doch der Papst selbst muss dann dastehen und sich den ganzen Aktivitäten auch stellen.

Was für Papst Franziskus gilt, das galt auch für alle seine Vorgänger. Der Papst ist der Nachfolger Petri – er ist die höchste Autorität der Katholischen Kirche. Doch im Alltag begegnet der Papst nicht nur den Fans und jubelnden Massen. Er begegnet zu Recht nachdenklichen Mitstreitern; nicht selten auch einem Tsunami von Widerständen, von Gegnern und Kritikern, die sein Leben nicht einfach machen. Dazu kommt, dass der Papst es aushalten muss, gewaltige Projektionen auf sein Amt und seine Person zu verkraften. Konkret hat Papst Franziskus schon ausgerufen: «Rudert mit mir zusammen – rudert kräftig mit!» Seine Gegner im Vatikan sind nicht wenige und seine Widersacher erlahmen nicht; das thematisiert er auch.

Kuriale Krankheiten

Papst Franziskus nahm den Weihnachtsempfang zum Anlass, die Kurie zu kritisieren. Radio Vatikan dokumentiert bis heute diesen sehr denkwürdigen «Empfang». Die Worte des Papstes werden wie folgt zusammengefasst: «Die Kurie ist gerufen, sich zu bessern; immer zu verbessern und in Gemeinschaft, Heiligkeit und Weisheit zu wachsen, um ihre Aufgabe ganz und gar erfüllen zu können.» Franziskus zählte dann 15 kuriale Krankheiten auf, die er im Sinne einer Gewissenserfoschung seinen engsten Mitarbeitenden vorhält. Ausdrücklich wies der Papst darauf hin, dass diese Krankheiten nicht ausschliesslich die Kurie betreffen, sondern eine Gefahr für jeden Christen darstellen würden; für jede Gemeinschaft, Pfarrei und die kirchlichen Bewegungen. Die Aufzählung der Krankheiten umfasst unter anderem folgende Laster: «sich für unsterblich, immun und unersetzlich zu halten»; «die obsessive Arbeitswut»; «geistig-geistliche Versteinerung»; «Funktionalismus, Planungswut, Vereinzelung»; «Krankheit des geistlichen Alzheimer»; «Eitelkeit, Titelsucht, Einschleimen bei Vorgesetzten»; «existenzielle Schizophrenie, Doppelleben und Heuchelei»; «Geschwätz, Herabsetzen der anderen»; «Ansammeln von Gütern»; «Härte und Rigorismus». Die Krankheiten zu nennen, sei bereits der erste Schritt zur Besserung, schloss Franziskus seine Ausführungen. Das sei ein Auftrag an alle: die Gemeinsamkeit zu suchen, die Einheit, um der Kirche besser dienen zu können.

Es waren keine Vorwürfe an konkrete Personen, die der Papst äusserte, es war eine sehr deutliche Gewissenserforschung, die er beim Weihnachtsempfang 2014 vorlegte. Franziskus versteht unter «Reform» zuerst und vor allem eine Reform der Menschen, dann erst der Strukturen. Papst Franziskus hält den Finger drauf, er kann schnell und deutlich entscheiden. Er kann – wie bekannt ist – auch anders! Doch ohne diese Qualitäten würde ein Papst schlicht vom Alltag aufgerieben. Franziskus hat nun zehn Jahre seinen Dienst an der Kirche getan; dafür verdient er zuerst unser aller Dank.