Hat die katholische Kirche die Ehen und Familien in Trennung oder Scheidung vergessen? Was ist in den vergangenen Jahren für Menschen in solchen und ähnlichen Situationen getan worden? Gibt es dazu ein Bischofswort, ein Papstschreiben oder Hilfen der Landessynoden?  

Stephan Leimgruber 

Es scheint, dass man sich damit abfindet, dass Geschiedene nicht zu den Sakramenten zugelassen werden, was heute bedeutet, von der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein. Ein Grossteil der geschiedenen Frauen und Männer hat diese Gesetzgebung mit Distanz zur Kirche quittiert. 

Es ist allen bewusst, dass, wer heute kirchlich heiratet, wirklich heiraten will, Gottes Hilfe anfleht und nicht damit rechnet, dass es zu einer Scheidung kommen wird. Doch das Leben in Partnerschaft ist zu einem sehr anspruchsvollen Lernprozess geworden. Das Umfeld trägt wenig zur Stabilität einer Beziehung bei, im Gegenteil, Phänomene wie die zunehmende Mobilität, die Kurzlebigkeit, die Individualisierung und vieles mehr fördern die Fliehkräfte. Es ist keine Grossfamilie mehr da, welche Krisen auffängt. Nicht umsonst empfiehlt der – freilich etwas oberflächliche – Ratgeber 50plus: «Wenn Sie eine Wut aufeinander haben, vergessen Sie nicht, am nächsten Morgen mit der Frage aufzuwachen: Wie kann ich den Partner, die Partnerin glücklich machen?» Und: «Vergessen Sie nie beim Abschied, einander einen Kuss zu geben.» Es ist oft harte Arbeit in Ehekonflikten zu leisten, aber ebenso nötig, in diesen Konflikten Gelassenheit walten zu lassen. 

Wenig förderlich für die Einehe ist die Tatsache, dass bis in die höheren Etagen in Politik und Öffentlichkeit Fremdgehen salonfähig geworden ist und die Medien Dreiecksverhältnisse mit Genuss zelebrieren, während die leidtragenden Kinder oft im Hintergrund bleiben. Hinzu kommt kirchlicherseits oft eine Idealisierung von Ehe und Familie. Alle anderen Formen des Zusammenlebens gelten als nicht «richtig» und werden schlicht vernachlässigt. Es ist keine besondere Sorge um das Schicksal der getrennt lebenden und der geschiedenen Frauen und Männer vorhanden und erkennbar. Das Bewusstsein fehlt, dass hier grosse Not herrscht, die unberücksichtigt bleibt. Es wird mit Verlust gerechnet.  

Chancen der Kirche
Welche Hilfen hat die Kirche heute anzubieten? Was kann sie unternehmen, damit Betroffene den Eindruck gewinnen, in dieser Gemeinschaft willkommen und nicht diskriminiert zu sein? Leider überzeugt die kirchlich Ehegesetzgebung mit ihrer Erklärung der Ehenichtigkeit moderne Menschen nicht. Eine bestandene Ehe, allenfalls mit mehreren Kindern, für nichtig zu erklären, mit welchen Gründen auch immer, ist unwürdig, insbesondere für die Kinder, als hätte es sie gar nicht gegeben. Die Mehrheit der Anträge auf Ehenichtigkeit kommt in den kirchlichen Offizialaten durch, das ist doch nicht glaubwürdig. Diese Ehen haben über Jahre Bestand gehabt. Hier wäre vielmehr angezeigt, dass die Kirche die Tore zu den Sakramenten wieder öffnet mit Bezug auf Jesu Einstellung zu Menschen mit gescheiterter Biografie. Und zwar nicht bloss als private Absprache eines Pfarrers mit einer Person oder als Ratschlag, in einer Nachbarspfarrei zu kommunizieren, sondern als offizielle Regelung. Statt geschiedene Frauen und Männer abzustrafen mit Verweigerung der Kommunion, wären Barmherzigkeit und ein neuer Umgang mit diesen Menschen angezeigt. Das Sakrament der Versöhnung hätte doch hier seinen besonderen Stellenwert und wäre eine grosse Chance, sowohl für eine Aufarbeitung der Situation im Hinblick auf einen Neubeginn als auch für ein Auseinandergehen in Frieden. Jedenfalls muss es ein Anliegen der Kirche sein, Sorge und Achtsamkeit für diese Menschen zu zeigen, wie es Papst Franziskus in «Amoris laetitia» vorgeschlagen hat. Auch das Angebot der Segnung einer Wiederheirat wäre offiziell zu ermöglichen und nicht nur im Geheimen und Versteckten. Ohne das Ideal der lebenslangen Ehe preiszugeben, müssten doch weitere Formen des Zusammenlebens toleriert und respektiert werden. Ganz zu schweigen von den Bemühungen um die Vorbereitung auf Freundschaft, Partnerschaft und Ehe, die vielerorts einfach entfallen. Das Bistum St. Gallen und das Bildungshaus Gutenberg in Balzers haben Kurse für Menschen in Trennung und Scheidung angeboten. Da wäre noch viel Luft nach oben. Geschiedene Getaufte gehören zur Kirche. Ihnen gilt eine besondere Sorge.