Tagtäglich werden wir mit den Krisen der globalen wie auch der lokalen Welt konfrontiert. Sie scheinen hier wie dort zuzunehmen. Wie soll man dabei die Hoffnung nicht verlieren? Das Geheimnis der Hoffnung besteht darin, auch angesichts düsterer, bedrückender Aussichten die Möglichkeit einer anderen Zukunft zu sehen.

Adrian Holderegger

 

Kaum öffnen wir eines der üblichen Nachrichtenportale, werden wir mit verschiedensten Krisenherden konfrontiert: Mit dem Russland-Ukraine-Konflikt, von dem niemand weiss, wohin er uns noch führen und ob er gar Europa mit in die Abgründe ziehen wird. Mit der Kriegssituation im Nahen Osten, einer Region, die von anhaltenden Konflikten, territorialen Streitigkeiten und religiösen Spannungen geprägt ist. Auch hier gibt es die bange und berechtigte Sorge, der Konflikt könnte sich ausweiten und nicht bloss diese Region destabilisieren, sondern die Grossmächte direkt und folgenreich in die Auseinandersetzung mit hohen Verlusten an Menschen und Material einbinden. Zunehmend wird uns auch der Konflikt im Südchinesischen Meer bewusst: Territoriale Ansprüche und Spannungen zwischen China und den Nachbarländern beeinflussen die Stabilität und Sicherheit der Region, wobei auch hier niemand weiss, ob sich nicht auch weltweit spürbare Konsequenzen ergeben werden. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Krisenherde, die wir emotional betroffen und bewusst wahrnehmen. Die Vereinigten Nationen (UNO) sprechen von gegenwärtig 150 kriegerischen Auseinandersetzungen, von denen die wenigsten in unseren News auftauchen, die aber doch insgesamt das Bild einer explosiven, globalen Gemengelage abgeben.

Dazu kommen die düsteren Prognosen, die der Klimawandel mit seinen weltweiten katastrophalen Wirkungen verursacht. Schon längst haben sich die entscheidenden Schlüsselbegriffe in unser Gedächtnis eingegraben: Gletscherschmelze, Dürre- und Hitzeperioden, extreme Wetterverhältnisse, die Verwüstungen verursachen und Gegenden unbewohnbar machen, Verlust der biologischen Vielfalt und damit verbunden ein Verlust der Lebensqualität der Menschen. Wir nehmen zwar inzwischen – schon aufgrund unserer eigenen Erfahrung – den Klimawandel als ein dringliches, planetarisches Problem wahr, das unser Handeln fordert, um wenigstens die negativen Auswirkungen zu begrenzen. Doch es scheint niemand mehr ernsthaft daran zu glauben, dass wir dieses Ziel mit Massnahmen erreichen, dass die Erde für alle bewohnbar erhalten werden kann. Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass nur jene Gemeinschaften besser reüssieren werden, die sich gut organisieren, über die entsprechenden Ressourcen und Fähigkeiten verfügen und schnell auf veränderte Situationen reagieren können; andere werden das Nachsehen haben. Und dies wird aller Wahrscheinlichkeit nach einen weiten Kreis an politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konflikten nach sich ziehen, die bereits jetzt ihre Schatten vorauswerfen.

Zudem nehmen wir in unserem konkreten Alltag wahr, dass unser Gesundheitssystem an seine Grenzen gerät, dass unser Wirtschafts- und Sozialsystem für viele Menschen nicht mehr als ausreichende Basis für eine befriedigende Existenz ausreicht, dass viele den komplexen Alltagssituationen und der Arbeitswelt mit ihren gestiegenen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. Flüchtlingsströme und Binnenvertreibungen, Unterbringung und Integration von Migranten und Flüchtlingen bringen die Aufnahmegemeinschaften an ihre Grenzen. Sie scheinen das soziale Gefüge an Belastungsgrenzen zu bringen, was wiederum eine neue Spirale an politischen Spannungen und gesellschaftlichen Polarisierungen freizusetzen droht. Das sind nur einige Beispiele für Krisen, die wir heute wahrnehmen, deren Wahrnehmung allerdings von individuellen Umständen und Erfahrungen abhängt und unterschiedlich auf uns lastet. Wie sollen wir damit umgehen?

 

Rezept: Hoffnung? 

In ihrem neuesten Buch «Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe» zeichnet die französische Philosophin Corine Pelluchon ein düsteres Bild der planetaren Zukunft. Sie bündelt all die erwähnten Krisen und sieht am Horizont sich eine Katastrophe abzeichnen, als ob die letzten Tage der Menschheit jetzt schon angezählt seien. Man mag diese scharfe Zuspitzung teilen oder nicht, so oder so könnte man leicht in einen Defätismus verfallen, den Dingen einfach ihren Lauf lassen und sich in wohlige Nischen zurückziehen. Der Resignation setzt Pelluchon eine Haltung der Hoffnung entgegen. Illusionslos plädiert sie dafür, die Hoffnung nicht aufzugeben. Was heisst das? Klingt dies nicht etwas realitätsfremd?

Hoffnung ist das Gegenteil von Mutlosigkeit und Verzweiflung. Beide Haltungen verschleiern den Ernst der Lage und wollen uns glauben machen, dass alles nur schicksalhaft und von den Umständen vorausbestimmt sei. Es gibt dagegen keine ernsthafte Hoffnung, die sich nicht zuvor der Wahrheit der Realität gestellt, die Erfahrung des Horizontverlustes, ja, die Erfahrung des Absturzes gemacht hat. Sie ist illusionslos, und insofern misstraut sie allen Ideologien, die uns in die Fallen der Täuschung und falscher Versprechungen tappen lassen. Hoffnung, die diesen Namen verdient, erwächst also nur aus der harten Auseinandersetzung mit den individuellen und gesellschaftlichen Krisen, woraus sozusagen Gegenbilder, allerdings erst in Konturen, entstehen. Friedrich Nietzsche hat diesen Gedanken in eine poetische Metapher gegossen: «Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden Wasserfällen des Lebens.» Hoffnung ist ein zartes, zerbrechliches Gegenbild der Zuversicht, das über die Schwierigkeiten des Lebens gespannt ist und das immer wieder verschwindet und sich neu zusammensetzt. Dieser farbenprächtige Bogen, der sich in der Zukunft ausbreitet, lässt uns weitergehen.

Diese Vorstellung von Hoffnung steht im Gegensatz zum Mythos der Griechen. Hoffnung (elpis) ist das, was übrigbleibt, wenn alle Übel aus der Pandora-Büchse entwichen sind. Es ist eine Art Trost, der uns über den Zuspruch der Worte und die Zuwendung der Menschen das Widerfahrene erträglicher machen soll. Es ist nicht so sehr Erwartung für die Zukunft, sondern Beschwörung der Kraft, nicht sofort aufzugeben, nachdem die Katastrophe hereingebrochen ist. Die lateinische Kultur hat daraus eine eigene literarische Gattung geschaffen, nämlich die philosophische Consolationes- bzw. Trost-Literatur (Seneca, Boethius). Die Philosophie spendet nur Trost, nicht Hoffnung. Das ist die Losung.

Es ist eine Eigenart der Hoffnung, dass das, was erhofft wird, nicht in der Gewalt des Hoffenden steht, dass er aber zu dessen Realisierung einiges beitragen kann. In einem gewissen Sinne transzendiert die Hoffnung immer das, was ist, und lässt das Willkommene, Erwünschte, das Erfreuliche – kurzum: das Gute – in Umrissen aufscheinen. Und indem das zu Erhoffende etwas Begehrenswertes bzw. zu Liebendes wird, wird es auch zur Quelle, Gegenwärtiges zu verändern und zu gestalten, das Schicksalhafte, das Katastrophale aufzubrechen. Hoffnung ist so nie nur Haltung, sondern auch Ansporn, zu handeln, zu entgrenzen, zu verändern. Und das ist mehr, als der griechische Mythos uns nahelegen will. Die Hoffnung liefert so auch die Energie, die Zeitenwende, mit der viele fast ausschliesslich Negatives verbinden, je nach persönlicher Massgabe zu gestalten.

 

Biblische Weisheit

Wenn wir die biblischen Hoffnungstexte nicht schon mit dem theologischen Auge lesen, sondern sie auf ihren allgemein menschlichen Gehalt befragen, dann zeigen sie erstaunliche Einsichten zu unserem Thema: Die Klagelieder des Jeremias, die Anklagen des Hiob, die nächtlichen Klagen des Psalmisten (Ps 57) wie auch die Prophezeiung des Propheten Ezechiel, dass die verdorrten Gebeine der Toten sich wieder zu lebendigen Leibern zusammenfügen, zeigen, dass Hoffnung nicht zu trennen ist von der Konfrontation mit Leid- und Kontingenzerfahrung und dass sie sich auf eine Zukunft richtet, die nicht vollständig vorhersehbar ist, aber vielleicht schon ihre Schatten vorauswirft. Diese Hoffnung setzt voraus, dass man sich der krisenhaften, schmerzhaften Situation bewusst wird, in der Gegenwart lebt, sie annimmt und sie – vielleicht ohne Groll wie Hiob – in die Zukunft ausweitet.

Das Geheimnis der Hoffnung besteht darin, auch angesichts düsterer, bedrückender Aussichten die Möglichkeit einer anderen Zukunft zu sehen. Ihre sanfte Macht besteht darin, Verbündete zu suchen. Hoffnung ist immer Hoffnung für uns alle, Beklemmendes nicht verdrängen zu müssen, Mögliches zu verändern und den Mut zu finden, sich Unerwartetem zu öffnen.