Nach dem Unfall am 10. August 2023 blieb der Gotthardbasistunnel für den Personenverkehr weitgehend gesperrt. Zur Wiedereröffnung der sanierten Tunnelröhre findet am 1. September in Erstfeld und Bodio eine Segnung statt, die schon im Vorfeld für Fragezeichen sorgt.

Anton Ladner

 

Die Bilder waren im Juni 2016 überall präsent. Vertreter dreier Religionen führten vor der offiziellen Eröffnung der neuen Eisenbahn-Alpentransversale eine Segnungszeremonie im Berg durch: Altabt Martin Werlen, die reformierte Pfarrerin Simona Rauch, Rabbiner Marcel Yair Ebel und Imam Bekim Alimi. «Halte Deine segnende Hand über allen, die in Zukunft in diesem Tunnel arbeiten oder als Reisende unterwegs sind», sprach Pfarrerin Rauch. «Erleichtere den Weg derjenigen, die uns diese Reise erleichtert haben, und ermögliche uns, anderen ihre Reise zu erleichtern», bat der Imam. Es kam anders. Am 10. August 2023 entgleiste ein Güterzug von DB Cargo und SBB Cargo und verursachte erhebliche Schäden. Die Kosten der Behebung in den Folgemonaten in der Weströhre dürften sich auf 130 Millionen Franken belaufen.

Am 1. September 2024 werden Christinnen und Christen die NEAT-Eisenbahntunnel dem «Schutz des allmächtigen Gottes anbefehlen». Auf dem Einladungsflyer steht weiter: «Nun soll das geniale Bauwerk grosser Ingenieurskunst und innovativer Zusammenarbeit der einzigen Machtanvertraut werden, die wirklich schützen und bewahren kann: dem Herrn, Jesus Christus.» Denn die Schutzgebete, die im Rahmen einer Segensfeier vor der Eröffnung 2016 mitunter auch von einem Imam und einem Atheisten gesprochen worden seien, hätten keine Bewahrung vor Schaden gebracht, schreiben die Veranstalter. Deshalb würden die Organisatoren nun auf zur christlichen Tunnelsegnung im Namen des biblischen Gottes aufrufen, der in der Präambel der Schweizer Bundesverfassung seine Erwähnung finde.

Eine Segnung ist immer gut. Eine Segnung, die andere Segnungen abqualifiziert, disqualifiziert sich aber dadurch. Und wer meint, eine «richtige» Segnung sei eine Rückversicherung gegen Schäden, ist im Glaubensverständnis in den Kinderschuhen stecken geblieben. Das Unglück wurde durch technische Probleme und letztlich menschliches Versagen verursacht. Ist Gott dafür zuständig? Immerhin kam kein Mensch zu Schaden. Hat der gemeinsame Segen von 2016 also doch etwas gewirkt?