Mit der erhöhten Bedrohungslage wächst auch das Geschäft mit der Angst: Zwar ist es derzeit sicher nicht verkehrt, die eigenen Essensvorräte zu ergänzen und aufzustocken. Aber auf die kostspielige Anschaffung sogenannter «Langzeitlebensmittel» oder «Emergency Foods» kann getrost verzichtet werden. 

von John Micelli 

Sie begrüssen die Besucherinnen und Besucher mit düsteren Prognosen. Sie warnen vor Klimawandel, vor sozialen Unruhen, vor Versorgungslücken und vor Krieg. Und sie geben sich gerne ein offizielles Aussehen sowie formell klingende Namen: Das «Krisenvorsorge-Center» oder «Swissration» aber – um nur zwei zu nennen – sind private Online-Shops, die zu stolzen Preisen auf Wunsch auch Wochen- oder Monatspakete verschicken mit lang haltbaren Konserven, ebensolchen Fertiggerichten und «Langzeitlebensmitteln» – hochkalorische, mit Mineralien und Vitaminen angereicherte Riegel oder Pulver auf Weizenbasis, die von Hilfsorganisationen als Überbrückung für eine bis zwei Wochen bei Naturkatastrophen und Hungersnöten als Soforthilfe eingesetzt werden, aber auch als Überlebensration im militärischen Bereich und auf Forschungsexpeditionen Verwendung finden.

Derzeit sei aber auch in der Schweiz die Nachfrage sehr hoch, schreibt die Luzerner Zeitung, täglich würden mehrere 100 Bestellungen eingehen, zitiert die Innerschweizer Tageszeitung Philipp Nater, Geschäftsführer des deutschen Ablegers der Sichersatt AG aus dem Zürcherischen Wald. Timo Rhis vom Onlineshop Prepper24.ch, der neben Gaskochern, Stromgeneratoren und Wasserfiltern auch lang haltbare Fertiggerichte vertreibt, bestätigt: «Seit Kriegsbeginn in der Ukraine verzeichnen wir eine Zunahme von rund 45 Prozent gegenüber dem üblichen Bestellvolumen, Tendenz steigend.» 

 Veränderter Hintergrund
Die Preise variieren beträchtlich je nach Anbieter und Zusammensetzung der Pauschalangebote: Ein Wochenpaket Fertiggerichte für eine Person mit 2800 täglichen Kalorien (gemäss Händler) gibts ab 280 Franken, ein anderer Shop verspricht 2000 Kalorien pro Tag in der «Drei-Monats-Ration vegetarisch», die auch von den oben beschriebenen Protein-Riegeln sowie einen Wasserfilter enthält und für knapp 1100 Franken über den Ladentisch geht beziehungsweise dem Versand übergeben wird. Den Preis rechtfertigen die Shops mit der langen Haltbarkeit der gelieferten Ware, die kann nämlich bis zu 15 Jahre betragen. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) dagegen rät nicht explizit davon ab, bei diesen Angeboten zuzugreifen. Auf Anfrage aber verweist es auf einen Passus in seiner Broschüre «Guter Rat – Notvorrat»: «Wir empfehlen, den Notvorrat in den Küchen- oder Kochalltag zu integrieren», schreibt das BWL, er soll also laufend verbraucht und wieder ersetzt und nicht als unantastbares Warenlager behandelt werden. Der Slogan allerdings bleibe trotz seines stolzen Alters von 50 Jahren hochaktuell, nur der Hintergrund habe sich verändert: «Es geht heute nicht mehr um das Überstehen einer längeren Krise, sondern um die Überbrückung eines kürzeren Versorgungsengpasses.» Nützlich sei er ausserdem nicht nur bei Krieg und Katastrophen, auch bei persönlichen «Notfällen» erweise sich ein Notvorrat als praktisch – beispielsweise wenn unerwartet Besuch komme oder man aufgrund einer Erkrankung nicht zum Einkaufen aus dem Haus könne.   

Wasser nicht vergessen!
Dieser Einschätzung schliesst sich auch Christine Brombach an, Dozentin an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW): «Viele lang haltbare Lebensmittel – Reis, Mehl, Teigwaren, Salz, Zucker, manche Öle, Dosentomaten oder anderes Dosengemüse – gehören zu unserem alltäglichen Verbrauch.» Es liege daher nahe, die Vorbereitung auf den Ausnahmefall in die alltägliche Vorratsbewirtschaftung miteinzubeziehen. «Bis Mitte des letzten Jahrhunderts war es nichts Aussergewöhnliches, gerade in abgelegenen Talschaften, Vorräte anzulegen, um jahreszeitlich bedingte Engpässe zu überbrücken», erklärt die Ernährungs- und Haushaltswissenschaftlerin, «Lebensmittel einzulagern für schlechtere Zeiten ist ein urmenschliches Bedürfnis.» Vor der Pandemie allerdings hätten wir uns daran gewöhnt, rund um die Uhr alles kaufen zu können, was wir gerade benötigen.

«Die vergangenen zwei Jahre und nun der Krieg in der Ukraine aber haben uns vor Augen geführt, wie sehr wir abhängig geworden sind von globalen Lieferketten und wie fragil die Versorgung im Grunde genommen ist.» Gegen den Bezug spezieller Konserven oder Notfallrationen würden aber ein eventueller Mehrkonsum und die Gefahr von Food-Waste sprechen, warnt die Professorin: «Alle für einen Notvorrat geeigneten und benötigten Produkte sind im regulären Detailhandel erhältlich.» Auf diese Weise könnten auch persönliche Vorlieben besser berücksichtigt werden: «Viele verschiedene Lebensmittel eignen sich zum Einlagern: Hülsenfrüchte, Müslimischungen, Schokolade, Kaffee, aber auch lagerfähiges Gemüse wie Zwiebeln, Rüebli, verschiedene Kohlsorten und Kartoffeln, ausserdem Hartkäse und Trockenfleisch und natürlich auch selbst Eingemachtes.» Besonderer Aufmerksamkeit bedürfe eigentlich nur das Thema Wasser – da verschätze man sich gerne bei den Mengen, weiss Brombach: «Es geht ja nicht nur um die zweieinhalb Liter, die man trinken sollte pro Tag. Miteinberechnen muss man auch das Wasser, das zum Kochen benötigt wird, zum Zähneputzen oder zum Spülen.»