Was redest du nur für einen Stuss!

Wer Blödsinn daherredet, dessen Worte werden als Gefasel oder Geschwafel, als Humbug, kalter Kaffee, Kokolores, Mumpitz, Pipifax, Quatsch oder Schnickschnack qualifiziert. Aber es gibt einen weiteren Ausdruck, den man Dummschwätzern gern entgegenschleudert: Stuss!

Christoph Gutknecht

 

Der Begriff Stuss entstammt dem westjiddischen schtus, hergeleitet aus dem Hebräischen von schetut für Irrsinn, Narrheit. Er taucht zu Beginn des 18. Jahrhunderts zunächst in westlich-niederdeutschen, mitteldeutschen und rheinfränkischen Mundarten auf. Ein Eintrag im Doornkaat-Koolmannschen Wörterbuch zum ostfriesischen Niederdeutsch (1884) legt sogar nahe, dass Schtuss dort für einen stupiden, ungehobelten Menschen stand. Im Sinne von Unsinn ist der Ausdruck über rotwelsche und studentische Sprecher, teils sogar schriftsprachlich vermittelt, in andere Regionalvarietäten gelangt. Christian Kindleben beschrieb Stusse im Hallenser Studentenlexikon (1781) als Torheiten und närrische Dinge. Selbst im Strassburger Idiom in Johann Arnolds Lustspiel «Der Pfingstmontag» von 1816 tauchen gelehrde Stüsse auf in den hinterlassenen Papieren eines französischen Offiziers, die Johann Friederich 1848 als «Vierzig Jahre aus dem Leben eines Toten» publizierte: «Auweih geschrien, Herr Baron, was mache Se vor än dumme Stuss!» Die Bedeutung reicht von Spass, Albernheit, dummer Streich, Scherz, Rappel, fixe Idee bis zu Unsinn und – wie Schmellers Bayerisches Wörterbuch (1836) zeigt – zu Zank und Streit.

 Salomon Mosenthal erläutert in den «Erzählungen aus dem jüdischen Familienleben» (1878) durch Klammerzusätze diese Gebrauchsweisen. Stuss war ein Kommunikationswort, das, so das Grimmsche Wörterbuch, «teilweise wohl auf unmittelbarer Kenntnis jüdischer Kreise oder rabbinischen Schrifttums beruhte». Besonders in Berlin war es beliebt. Das in Revolutionszeiten gegründete Lokalblatt Berliner Krakehler wartete 1848 mit der Erkenntnis auf: «Der stusz, der is grausz!» In den Scherzen in jüdischer Mundart, die 1860 ein gewisser Schmock Achtzehn unter dem Titel «Heisstn Stußss!» publizierte, liest man: «Geh, Du Schmockleben, was redst Du für Stuss!»

Stuss reizte zu munteren Wortverbindungen. Brieflich befragte Eduard Dedekind 1860 den Philosophen Feuerbach: «Wo in der Welt, sage mir, kannst Du einen solideren Stuss wiederfinden als hier im glücklichen Amerika?» Werner Weinberg fügte in «Die Reste des Jüdischdeutschen» (1973) Stusskopp sowie die Wendung Stuss mit Fransen (blühender Unsinn) hinzu. Ronald Lötzsch nannte im Jiddischen Wörterbuch (1990) ergänzend schtusseráj. Abraham Tendlau erklärte in den «Jüdischen Sprichwörtern und Redensarten» (1860) die Lebensmaxime Frankfurter Juden (Unrecht ist mir lieber als Stuss) – mit Bezug auf Spr. Sal. 18,2: «Dem Unrecht gegenüber kann man sich verteidigen; aber der Narr ist von seiner Narrheit nicht abzubringen.» Rund 50 Jahre später erschien Alexander Moszkowskis «Stuss im Jus – ein lustiges Buch von Juristen und schweren Verbrechern» (1909).

Stuss als Wort des jüdischen Witzes lacht uns auch aus Fritz Macks «Schmus und Stuss» (1927) an: «Was fragste for Stuss?! Die Post befördert for e Zehnpfennigmarke e Brief, was wiegt 20 Gramm. Die meisten Briefe wiegen aber kaa 20 Gramm – darin liegt das Geschäft.»

Das standardsprachlich akzeptierte Nomen liest man heute in den Tageszeitungen: Die Welt beurteilte eine Musiksendung als «Einheitsbrei statt unterhaltsamem Stuss«, der Tagesspiegel sprach vom «Lifestyle-Stuss». Jugendsprachliche Interneteinträge belegen inzwischen auch den kreativen Gebrauch beim Verb: «Wenn Lehrer stussen» und beim Adjektiv: «Bisse bestusst oder wat?»