Das Religionspädagogische Institut Luzern (RPI) steht für eine neue Hinführung zum Sakrament der Busse für Kinder. In der vierten Klasse sollen die Kinder für ihr eigenes Handeln Rechenschaft ablegen und an verschiedenen Stationen Fragen beantworten, wie Christian Höger, Leiter des RPI, erklärt.

Stephan Leimgruber

 

Christian Höger, ist der Versöhnungsweg besser als eine Beichte?

Es gibt solche Versöhnungswege in den deutschsprachigen Diözesen bereits seit mehreren Jahren. Er geht unter anderem auf Markus Arnold zurück. Und die Beichte ist deswegen nicht aufgehoben worden. Vielmehr existiert eine ganzheitliche Versöhnungskultur mit verschiedenen katechetischen und liturgischen Formen bis hin zu einer Versöhnungsapp per Smartphone, wie sie Carina Wallimann in Sursee entwickelt hat. Schon lange werden auch Bussfeiern in den Pfarreien und Pastoralräumen angeboten. Ein Versöhnungsweg hat den Vorteil, dass Kinder nicht mehr in einem engen Beichtstuhl gleichsam verhört werden, sondern ihr Gewissen selbst erforschen und darüber frei sprechen können. Das RPI hat die damit verbundenen positiven Erfahrungen gefördert und geht im Studium auf Versöhnungswege konkret ein. Im Zentrum steht der Begriff der Versöhnung und nicht mehr die Busse einzelner Personen.

Kann nach Ihrer Meinung ein zehnjähriges Kind über eigene Schulderfahrungen nachdenken und diese formulieren oder ist das Kind damit überfordert?

Kinder spüren durchaus, wenn sie etwas falsch gemacht haben oder etwas nicht in Ordnung ist. Es ist auch eine gewisse Selbstreflexion möglich, je nach sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten. Freilich, eine Metareflexion wie im Erwachsenenalter ist in der Kindheit noch nicht zu erreichen. Wichtig sind vor allem die Vermittlung eines liebenden Gottesbildes und das Ausgehen von einem positiven Menschenbild. Das Kind ist genauso wenig nicht einfach ein «armer Sünder» wie eine erwachsene Person! Die religionspädagogische Versöhnungsarbeit soll und darf Kinder nicht kleinmachen, sondern sie zu einem autonomen Moralverständnis ermutigen und letztlich zu einem mündigen Christsein hinführen.

Was hat es für eine Bedeutung, wenn ein Kind Versöhnung mit eigenen Augen in der Familie erleben kann?

Die Eltern sind zweifellos die ersten und wichtigsten Vorbilder für ihre Kinder. An ihnen können Kinder ablesen, wie Versöhnung geschehen kann. Gewiss lernen sie auch von den weiteren Erziehungsverantwortlichen, von den Mitschülerinnen und Mitschülern und nicht zuletzt aus den Medien, wie Versöhnung praktiziert wird.

Welche biblischen Geschichten kommen Ihnen in den Sinn, wenn es um Umkehr und Versöhnung geht? Welche sind für den Religionsunterricht oder die moralische Erziehung geeignet?

Zuerst kommt mir die Geschichte von Jakob und Esau in den Sinn. Auch die Josefsgeschichte ist im Grunde eine Versöhnungsgeschichte zwischen Josef und seinen Brüdern. Aus dem Neuen Testament dann die Geschichte von den zwei Söhnen und vom barmherzigen Vater und jene von Jesus und Zachäus. Überall spielt die Barmherzigkeit Gottes eine zentrale Rolle im Dienste der Versöhnung der Menschen untereinander.

Sehen Sie im Weg der Versöhnung eine Zukunft gegenüber der Beichte, die weitgehend eingebrochen ist?

Ja, ich stehe zu diesem Ansatz der Versöhnungswege, weil er Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihrer Individualität ernst nimmt. Die Zeit der leeren Beichtstühle bewirkt, dass vermehrt Beichtzentren mit Aussprache- und Beichtmöglichkeiten aufgebaut werden. Und manche heutigen Christinnen und Christen schauen gerne auch aus nach veritablen Gesprächspartnerinnen und -partnern, bei denen sie sich aussprechen und guten Rat holen und von denen sie durchaus Vergebung der Schuld erfahren können. Doch vor allem niederschwellige Angebote, die auch für Menschen ohne (enge) Kirchenbindung zur Verfügung gestellt werden, halte ich für zukunftsweisend, zum Beispiel auch über digitale Medien.

Gehören Umkehr, Reue, Vergeben und Versöhnung zum christlichen Glauben oder sind Christsein und christliches Zeugnis auch ohne diese Kategorien möglich?

Nein, diese Kategorien gehören wesentlich zum Leben und zum jüdisch-christlichen Glauben und bringen auch seinen therapeutischen Aspekt zum Tragen. Vor allem Situationen der Umkehr und Hoffnung auf Vergebung und Versöhnung kommen immer wieder auf dem Lebensweg jedes Menschen vor.

Welche Rolle kann in diesem Bereich die Katechetin, der Katechet einnehmen?

Die Katechetinnen und Religionspädagogen haben durchaus wichtige Funktionen bei der Hinführung der Kinder und Jugendlichen zu diesem komplexen Thema. Sie brauchen ein gutes Gespür für individuelle Fragen und Sorgen sowie eine gute religionspädagogische Ausbildung. Sie müssen eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen und Kindern und Jugendlichen sensibel Möglichkeiten eröffnen, sich äussern zu können und ermutigt zu werden.

Welche Aufgabe kommt dem Priester zu?

Der Priester kann sich aktiv am Versöhnungsweg beteiligen und seine Kompetenzen als Seelsorger voll einbringen. Er ist hierbei kein Einzelkämpfer, sondern gehört zum gesamten Seelsorgeteam mit Katecheten und Religionspädagoginnen. Darüber hinaus kann er im individuellen Beichtgespräch Menschen Gottes Zuspruch und die Befreiung von ihrer Schuld zusprechen und im Bussgottesdienst eine deprekative Form der Sündenvergebung praktizieren. Entscheidend ist also ein Gesamtkonzept, in das alle Haupt- und Ehrenamtlichen eingebunden sind.