Der Advent hat viel mit der Kunst des Wartens, mit der Stille und der Ausschau zu tun. Zu dieser Haltung zu finden kann in der aktuellen Zeit von Krisen eine versöhnliche Wirkung entfalten.  

Beatrice Gloggner 

Advent heisst Ankunft. Ankunft ist mit Warten verbunden. Bei uns gibt es vier Sonntage vor Weihnachten, die uns auf die Ankunft, die Feier der Geburt Jesu Christi, vorbereiten. Im ambrosianischen Ritus, der in Teilen des Tessins um Lugano herum und im Bleniotal, aber auch in der Gegend von Mailand zelebriert wird, sind es sechs Wochen des Wartens. Es werden dort sechs Kerzen am Adventskranz angezündet. Vielleicht haben die Menschen in dieser Region verstanden, dass die Zeit des Wartens keine verlorene, sondern eine bereichernde Zeit ist. Sie soll uns still werden lassen. Wir sollen innehalten, unser Leben verlangsamen, darüber nachdenken, zurückschauen. Lassen wir den Alltag hinter uns, lassen wir all unsere Nöte und Sorgen los und kommen wir zur Ruhe. So können wir erkennen, wo wir uns von Gott entfernt haben und wo wir nicht nach seinem Willen gehandelt haben.

Wir betrachten unsere eigene Dunkelheit und überlegen, wo wir Erlösung und Vergebung nötig haben. Die Erkenntnis, wie es im eigenen Inneren aussieht, hilft und verwandelt uns. Es wird klarer und heller in uns. In der Stille des Advents finden wir das Licht der Hoffnung, dass Jesus wiederkommt und unsere Herzen erlösen will. Wir überlegen uns: Wie wird uns Jesus vorfinden, wenn er wiederkommt? Wie wir es im Evangelium am ersten Adventssonntag hören? Verhalten wir uns immer noch so wie in der Zeit von Noah? «Die Menschen assen und tranken, heirateten … bis zu dem Tag, als Noah in die Arche ging, die Flut hereinbrach und alle wegraffte …» (Matthäusevangelium 24, 38-39). Jesus lädt uns in der Adventszeit ein, uns auf sein Kommen vorzubereiten und wachsam zu sein, denn niemand kennt den Tag und die Stunde, wenn er wiederkommt. Leben wir in einer wachsamen Haltung oder rennen und hasten wir immer? Laufe ich in all meiner Betriebsamkeit vor mir selbst davon, ohne je anzukommen? Ist Gott das Wichtigste in meinem Leben? Glauben wir daran, dass Gott immer bei uns ist? 

Eine gute Leere
Wie geht es uns mit der Haltung des Wartens? In Italien wird das «Dolce far niente», das «süsse Nichtstun», eher gelebt als in unseren Regionen. Schaffen wir es, einen Augenblick nichts zu tun? 
 

Nun ist Warten heute eher ein negatives Wort. Wir tun uns schwer, warten zu müssen, bis der Bus kommt; wir sind ungeduldig im Wartesaal des Arztes, im Stau auf der Autobahn, im Wartesaal am Bahnhof. Können wir noch auf die grosse Liebe warten? Es scheint mir, dass ich ausgeliefert wäre, wenn ich warten muss. Ich kann diese Zeit nicht abkürzen. Zeit ist doch Geld! Da wird wertvolle Zeit verschleudert! Ausserdem sind wir es heute gewohnt, dass unsere Bedürfnisse sofort befriedigt werden. Ich kann nicht mehr so geduldig warten wie früher, als ich im Ausland drei Wochen lang einen Antwortbrief ersehnte. Nein, wir erwarten in kürzester Zeit Antwort auf unsere Mails oder unsere SMS. Wir haben kaum mehr Zeit, uns ein nahrhaftes, schmackhaftes Essen zu bereiten, nein, wir stellen eher etwas Vorgekochtes kurz in den Mikrowellenofen. Ein guter Wein muss reifen, das heisst, der Winzer muss sich gedulden, muss warten, bis der Wein über die Zeit des Wartens immer besser wird, gemäss dem bayerischen Sprichwort: «Gut Ding will Weile haben.» Warten ist eine Lebenskunst. 

Dabei wird uns beim Warten Zeit geschenkt, um uns selbst zu finden. Ich kann durchatmen, meine Gedanken ordnen, mich auf etwas freuen oder jemandem gute Gedanken schicken. Kreative Ideen werden mir oft geschenkt, wenn ich mich entspanne und eine Zeitlang gar nichts tue. Es gehört zum Advent, Gott zu suchen, auf ihn zu warten und ihn in unser Herz einzulassen. Das entspricht dem Lied «Macht hoch die Tür, die Tor macht weit» (Kirchengesangbuch Nr. 298), denn der König der Herzen möchte in mein Herz einziehen.  

Vertrauen in das, was kommt
Maria, die Mutter Jesu, hat uns das vertrauensvolle Warten vorbildlich gezeigt. Ihr geschieht etwas Überraschendes, Unvorhergesehenes. Sie wird um Verstehen gerungen haben, als der Engel so rätselhaft mit ihr gesprochen hat. Hat sie schlaflose Nächte voller Ängste und Sorgen erlebt, als sie das Kind austragen sollte? All die moralischen Gesetze, die es in ihrer jüdischen Welt gab, dürften ihr grosse Ängste und Sorgen bereitet haben, doch ihr Vertrauen in das Wort, das der Engel ihr von Gott verkündet hat, trug sie durch diese schwierige Zeit. Sie kann für uns zur Lichtgestalt werden im Dunkeln langer Winternächte des Advents.
 

Das Kerzenlicht in der Zeit kurzer Tage und der langer Nächte symbolisiert das göttliche Licht, wonach sich die Menschen im Innersten sehnen. Im Lied «Es ist ein Ros entsprungen …» singen wir, dass «mitten im kalten Winter, wohl zu der halben Nacht» etwas Neues entsteht. Eine Rose blüht in der dunkelsten Jahreszeit. Sie bringt Hoffnung auf einen Neubeginn genau dann, wenn alles kalt und starr ist. In der Zeit des Wartens auf die Geburt Jesu, wenn wir in der Stille das Kerzenlicht betrachten, können wir verstehen, dass Jesus in unsere Herzen hineingeboren werden muss, damit in unserem Inneren sein Licht leuchten kann. Öffnen wir ihm unsere Herzenstüre. Er kann uns helfen, seine Liebe in der Welt sichtbar werden zu lassen.