«Sternstunden-Erfahrungen»
Der 40-jährige Benediktinerpater Paul Tobler hat mit einer kleinen Gruppe des Klosters Disentis den Weltjugendtag in Lissabon besucht, der bis zum 6. August dauerte. Im zweiten Teil des Interviews erklärt er, was eine solche Veranstaltung für die Zukunft bedeutet.
Stephan Leimgruber
Paul Tobler, der Papst sprach darüber, dass die Kirche offen für alle sei. Wie war das gemeint?
Ich hörte aus diesen Aussagen eine Grundhaltung, unsere kirchliche Grundmission, heraus. Gott ist ja schliesslich für jeden einzelnen Menschen Mensch geworden. Unser geschwisterliches christliches Bemühen muss sich an jeden einzelnen Menschen richten. Theologisch kann man es den universalen Heilswillen nennen. Und die Kirche – egal, in welchem Land – muss sich wohl ständig prüfen, wie strahlkräftig sie diese Mission führt.
Was heisst das konkret?
Jesus rief und ruft alle in die Nachfolge. Aber die Begegnung mit ihm liess und lässt einen verändert zurück. Und damit beginnt ja dann auch das Thema der Umkehr. Und dort haben auch anspruchsvollere Aufforderungen Platz. Aber Schritt um Schritt. Papst Franziskus wird sicher nicht meinen, dass man alles Anspruchsvolle den Menschen gegenüber verneinen oder abschaffen solle. Er hat dies später in
Interviews auch noch differenziert ausgeführt. Aber ich finde den Grund-Ruf «alle» – von ihm in Lissabon stark betont – schön und wertvoll. Es ist der erste, der zentrale, der wichtigste Ruf.
Glauben Sie, dass der Weltjugendtag Auswirkungen auf die Kirche in der Schweiz haben wird?
Ja, das glaube ich. Es mag von aussen gesehen, sobald der Anlass durch ist, wieder sehr leise und «passé» wirken. Aber diese Erfahrung hat viele Jugendliche im Herzen tief bewegt. Ich habe dazu mehrere junge Menschen in Erinnerung. Sie schienen manchmal gar nicht richtig fähig, ihre Überwältigung in Worte zu fassen über all das, was sie am Schlusswochenende beziehungsweise in der Woche in Lissabon alles erlebten: diese einmalige Atmosphäre. Diese riesige, friedliche, geeinte Gemeinschaft. Die geistliche Gebetskraft, die man an den so grossen Gottesdiensten manchmal verspüren darf. Das ganze «Paket», auch von menschlichen Begegnungen, geselligen Momenten, Sport, Musik, Touristischem. Natürlich kommt danach auch wieder der Alltag. Natürlich vergisst man und es flaut ab. Aber es war so intensiv, menschlich und geistlich, dass vieles nachwirkt. Genau das, so scheint mir, ist auch das Charisma des Weltjugendtages und die Intuition, die bei der Entstehung dahinterstand – junge Menschen in unserer schnelllebigen Welt intensive, jugendgerechte Erfahrungen machen zu lassen. Viele junge Menschen, die dabei waren, sagten mir auch, dass sie gegangen seien, weil sie einmal mehr junge Gläubige sehen wollten. Das ist definitiv passiert! Man kann das alles fast nicht erleben, ohne berührt zu werden. Es gibt per se kaum so grosse Veranstaltungen auf der Welt. Und diese ist auf den Herrn ausgerichtet.
Das Erlebnis führt zu Veränderungen.
Ich bin selber seit bald 20 Jahren, zuerst als junger Mensch, später als Mönch, heute als Priester an Weltjugendtagen dabei gewesen. Ich habe selber diese «Sternstunden»-Erfahrungen gehabt, welche immer wieder Bewegung für den christlichen Alltag gaben. Also: Ja, ich bin überzeugt, dass derart angerührte junge Menschen einen wichtigen Einfluss aufs kirchliche Leben an den verschiedensten Orten des Landes haben. Sei es
in ihren Pfarreien. Sei es in christlichen Initiativen, in der Gründung von Gebetsgruppen usw. Und natürlich ganz besonders in ihrem Alltag, als Christen.
Die gemeinsam gefeierten Hauptereignisse eines Weltjugendtags sind nach dem Vorbild der Karwoche gestaltet, also mit Erinnerungen an das letzte Abendmahl, an Karfreitag, Osternacht und Auferstehungsfeier. Haben Sie davon etwas mitgenommen?
Ja, diese Struktur war sehr spürbar und erscheint sehr sinnvoll. Ich fand den Kreuzweg besonders eindrücklich. Er schien mir sehr gut gelungen und konnte die menschlichen Nöte, speziell von jungen Menschen, benennen und ins Kreuzesgeschehen hineinlegen. Dabei war er sehr modern, multimedial, mit aktuellen kurzen Videoporträts. Generell waren die Feiern künstlerisch und multimedial sehr ansprechend gestaltet. Bei der samstäglichen Vigil gab es eine eindrückliche Drohnen-Licht-Show.
Der Höhepunkt war natürlich der Schlusssonntag, wo 1,5 Millionen junge Menschen die Eucharistie feierten. Das war eine Riesenlogistik. Und ein Riesenerlebnis. Das war echte Weltkirchen-Erfahrung! Es ist theologisch sicher sinnvoll, dass der Höhepunkt die Eucharistie ist. In der vorabendlichen Vigil und in der Heiligen Messe war ein Akzent auf dem Thema «Furchtlosigkeit» zu spüren. Das scheint mir passend und wohltuend für unsere Zeit. Und fürs Christsein als Jugendlicher. Vermutlich egal, in welcher Weltregion man daheim ist. «Fürchtet euch nicht», diese im Ostergeschehen gründenden Worte Jesu waren wiederholt zu hören. Und sie haben auch mir gutgetan.