Die katholische Kirche begeht seit 2021 jährlich am vierten Sonntag im Juli den Welttag der Grosseltern und Senioren, den Papst Franziskus ins Leben gerufen hat. Damit wollte er vor dem Hin-tergrund der COVID-19-Pandemie das Miteinander der Generati-onen wiederbeleben. In diesem Jahr findet dieser Welttag am 28. Juli 2024 statt.
Martin Ötker
Das Datum für den Welttag der Grosseltern und Senioren am vierten Sonntag im Juli ist deshalb gewählt worden, weil er dem Namenstag der biblisch nicht belegten Grosseltern Jesu mütterlicherseits Anna und Joachim am nächsten liegt (26. Juli). Anna wird jedoch in mehreren apokryphen, nicht kanonischen Schriften des Neuen Testaments als Mutter Jesu erwähnt, so in dem wohl in der Mitte des zweiten Jahrhunderts entstandenen Protoevangelium nach Jakobus; ihr Mann war demnach Joachim.
Bevor weiter auf den genannten Welttag eingegangen wird, sollen zunächst ein paar statistische Daten genannt werden: Unter den fast neun Millionen Menschen, die für das Jahr 2023 die Gesamtbevölkerung der Schweiz darstellten, befanden sich auch 1,73 Millionen Senioren beiderlei Geschlechts, die 65 Jahre oder älter waren. Das macht einen Anteil von 19,3 Prozent an der Gesamtbevölkerung aus. Davon lebten die meisten Senioren im Tessin (23,7 Prozent) und die wenigsten in Genf (16,5 Prozent). Ausserdem gibt es in der Schweiz 160 000 Personen über 62 Jahren, die von Einsamkeit betroffen sind. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: Altersarmut, eingeschränkte Mobilität, keine Angehörigen mehr, sozialer Rückzug und Krankheit sind nur einige Faktoren, die Einsamkeit begünstigen.
Das diesjährige von Papst Franziskus für diesen Anlass ausgewählte Thema ist dramatisch, «Wirf mich nicht weg in meinem Alter», und ist Psalm 71, 9 – erster Halbsatz – entnommen. Der zweite Halbsatz lautet: «… verlass mich nicht, wenn meine Kräfte schwinden.» In Psalm 71 wird die Anrufung eines alten Menschen beschrieben, «der seine Geschichte der Freundschaft mit Gott erzählt». Wie der Vatikan mitteilte, wollte der Papst durch die Wahl dieses Verses «auf die Tatsache aufmerksam machen, dass Einsamkeit leider das bittere Los vieler alter Menschen ist, die so oft Opfer der Wegwerfgesellschaft geworden sind» und – so wird man wohl noch hinzufügen dürfen – «auch als Belastung der Gesellschaft angesehen werden».
Weiter heisst es: «Indem der Welttag das Charisma der Grosseltern und Senioren sowie ihren Beitrag zum Leben der Kirche würdigt, will Franziskus die Bemühungen jeder kirchlichen Gemeinschaft unterstützen, Bande zwischen den Generationen zu knüpfen und die Einsamkeit zu bekämpfen».
Papst Franziskus beklagt in seiner «Botschaft zum vierten Welttag der Grosseltern und Senioren» die Vereinsamung und Ausgrenzung der alt gewordenen Menschen. Er selber habe als Bischof von Buenos Aires häufig Altenheime besucht und feststellen müssen, wie selten diese Menschen Besuch bekommen hätten: «Manche hatten ihre Lieben seit vielen Monaten nicht mehr gesehen.» Franziskus spricht sich dafür aus, alte Menschen nicht allein zu lassen.
Zunächst wendet sich der Papst gegen den Vorwurf an die Alten, «sie würden ‹der Jugend die Zukunft stehlen›», der sich «in den modernsten und fortschrittlichsten Gesellschaften» in gewandelter Form finde. Es «sei eine weit verbreitete Überzeugung, dass die Älteren den Jungen die Kosten für ihre Pflege aufbürden und auf diese Weise Ressourcen von der Entwicklung des Landes und damit von den Jungen abziehen». Dies sei «eine verzerrte Wahrnehmung der Realität». «Es ist, als würde das Überleben der Älteren das der Jungen gefährden. So als ob man, um die Jungen zu fördern, die Älteren vernachlässigen und sogar beseitigen müsste.» Die Jungen gegen die Alten auszuspielen sei eine inakzeptable Manipulation.
Sodann prangert der Papst die Einsamkeit und das Ausrangieren älterer Menschen an, was «weder zufällig noch unausweichlich» sei, sondern «das Ergebnis von Entscheidungen – politischer, wirtschaftlicher, sozialer und persönlicher Art –, die die unendliche Würde eines jeden Menschen … nicht anerkennen». Das geschieht, «wenn die Wertschätzung für jeden Menschen verloren geht und Menschen nur noch als Kostenfaktor betrachtet werden», der bisweilen ls zu hoch gesehen würde, um ihn zu bezahlen. Noch schlimmer sei es, wenn «ältere Menschen oft selbst dieser Mentalität verfallen und sich nur noch als Last empfinden und am liebsten selbst verschwinden möchten».
Andererseits gebe es heute viele Frauen und Männer, die nach grösstmöglicher Individualität streben würden. Eines der deutlichsten Anzeichen dafür scheine die Verschiebung vom «Wir» zum «Ich» zu sein. Die Familie sei ein Opfer dieser «individualistischen Kultur», denn sie könne aus dieser Misere herausführen. «Doch mit zunehmendem Alter, wenn die Kräfte nachlassen, entpuppt sich das Trugbild des Individualismus als Illusion, niemanden zu brauchen.» Das sei eine traurige Entdeckung, die viele erst machen würden, wenn es zu spät sei.
Anlässlich dieses Welttags ruft der Papst dazu auf, nicht zu versäumen, den Grosseltern und den älteren Menschen unsere Liebe zu zeigen und die zu besuchen, die entmutigt seien und keine Hoffnung mehr hätten, dass eine andere Zukunft möglich sei. «Begegnen wir der egoistischen Haltung, die zu Ausgrenzung und Einsamkeit führt, mit dem offenen Herzen und dem fröhlichen Gesicht derer, die den Mut haben zu sagen: ‹Ich verlasse dich nicht!› und einen neuen Weg einschlagen.»