Die Segnung gleichgeschlechtlicher und wiederverheirateter geschiedener Paare wird jetzt in Deutschland empfohlen. Konrad Hilpert, emeritierter Ethik-Professor der Universität München, würdigt hier das Votum des deutschen Reformprojekts Synodaler Weg. 

 

Ursprünglich und lange ging es um die Streitfrage, ob gleichgeschlechtliche Paare, die für ihre Partnerschaft bei der Kirche um einen Segen bitten, einen solchen erhalten dürfen. Und zwar nicht nur im Verborgenen und gleichsam als zwei Individuen, wie es da und dort schon seit Jahren geschieht, sondern kirchenöffentlich und im Auftrag der Kirche. Mit der Ausgestaltung solchen Segnens als liturgischer Feier und als Ritual kommen neben der und zusätzlich zur Bitte und Zusage göttlichen Beistands noch zwei andere Momente ins Spiel: die Anerkennung der konkreten Verbindung dieser zwei (getauften) Menschen in einer bestimmten Gemeinde wie auch in der übergreifenden Gemeinschaft der Kirche und das Angebot sowie die Selbstverpflichtung zur Begleitung der Liebesbeziehung, die wie jede Verbindung, in der man sich frei und tendenziell vorbehaltlos aufeinander einlässt und Verantwortung füreinander übernimmt, die auf Dauer gemeint ist, fragil ist und viele Möglichkeiten einschliesst, sich zu verletzen oder zu enttäuschen.

Gleichgeschlechtliche Paare offiziell zu segnen, ihnen gegenüber Respekt und Anerkennung zum Ausdruck zu bringen und ihnen nicht nur punktuell den Segen zu erteilen, sondern ihnen auch für den weiteren gemeinsamen Weg Seelsorge und Beziehungsbegleitung anzubieten, ist keineswegs so trivial, wie es zunächst den Anschein haben könnte. Das hat zum einen mit der Tatsache zu tun, dass Homosexualität als Orientierung wie auch als gelebte Praxis in der Tradition der Kirche (und nicht nur der Kirche) moralisch verfemt war und es in offiziellen Texten (Beispiel Katechismus) bis heute noch immer ist. Die Betroffenen sicher am meisten, aber auch jeder logisch denkende Beobachter von ausserhalb erkennt sofort einen Widerspruch zwischen der Verurteilung in der Lehre und einer Segnung in der pastoralen Praxis. Und er wird diesen Widerspruch nur ertragen können, wenn er zugleich die Gewissheit haben darf, dass es sich hierbei um zwei Geschwindigkeiten von Reformen handelt, bei denen die Leitungsebene glaubhaft willens ist, das nachzuvollziehen, was sich an der Basis unter dem Einfluss vertiefter Erkenntnisse, vielfacher Erfahrungen und der Sichtbarkeit bisher unsichtbar gebliebener oder ausgeblendeter Menschengruppen schon längst mental und auch praktisch verändert hat.

Zum anderen ist die Empfehlung zu einer neuen Segens-Praxis auch aus dem Grund nicht trivial noch auch konfliktfrei, weil sie ja nicht in einen leeren Praxisraum hineingesprochen ist, sondern auf eine etablierte Segenspraxis und Feierkultur der Eheschliessung bzw. des Heiratens trifft, mit der sie unvermeidbar verglichen wird und die, bewusst oder auch unbewusst, die psychologische und soziale Messlatte bildet. Das ist vor allem daran ersichtlich, dass nicht wenige gleichgeschlechtliche Paare von sich aus initiativ werden und um den Segen für ihre Gemeinschaft bitten. Sicher mag bei manchen von ihnen auch der Gedanke eine Rolle spielen, dass die Segnung ein Mittel der öffentlichen Anerkennung und der Akzeptanz durch die Verwandtschaft und die Familie sein könnte, vor allem jenes Teils derselben, der sich mit der unüblichen Verbindung emotional schwergetan hat. Aber das schliesst nicht aus, dass auch der Dank für das Finden des richtigen Partners bzw. der richtigen Partnerin sowie die Bitte um Begleitet-Werden durch alle Stadien der Beziehung – eben auch die, die die eigene Brüchigkeit und die des anderen blosslegen und zum Ausgangspunkt von Krisen werden – starke Motive für diese Bitte sein können. Es ist nicht unverständlich, dass Priester, Bischöfe und andere Kirchen-Verantwortlichen von der Sorge umgetrieben werden, dass die Regelung, Einführung, Ausgestaltung und Praktizierung derartiger Segensfeiern zur Verwechslung oder Gleichsetzung mit Feiern der sakramentalen Ehe führen können, wie sie der Konstellation Mann/Frau und der Offenheit, dass daraus Familie wird, vorbehalten ist. Sie drängen, soweit sie sich solche Segensfeiern überhaupt vorstellen können, darauf, dass bei der liturgischen Ausgestaltung der Segensfeier die Unterschiede zur Feier der Trauung deutlich werden.

Mit Blick darauf ist es kirchenpolitisch sehr geschickt, dass die Synodenteilnehmer, die die Vorlage des Handlungstextes erarbeitet und sich für ihn eingesetzt haben, den Interessentenkreis weit umschrieben haben: Angesprochen und sich eingeladen fühlen sollen nicht nur die gleichgeschlechtlichen Paare, sondern alle «Paare, die in Liebe verbunden sind, sich gegenseitig in vollem Respekt und in Würde begegnen und ihre Sexualität in Achtsamkeit für sich selbst, füreinander und in sozialer Verantwortung auf Dauer zu leben bereit sind». Dazu gehören folglich auch die zivil wiederverheirateten Geschiedenen, über deren Position und angemessenen kirchlichen Umgang ebenfalls seit vielen Jahren diskutiert wird, und heterosexuelle Paare, die die in manchen Ländern staatskirchenrechtlich vorausgesetzte staatliche Eheschliessung umgehen wollen. Im Text ist ausserdem noch die Rede von Paaren, «die sich für das Sakrament der Ehe noch nicht disponiert sehen», und von solchen, die ungetauft sind und nach dem Segen fragen.

Gleichwohl bleibt die Herausforderung der Frage bestehen, was eine Ehe eigentlich ausmacht und ob die Verschiedenheit von Mann und Frau nicht eine konstitutive Voraussetzung ist. Die über Jahrhunderte selbstverständliche Antwort Ja ist in den letzten Jahren in zahlreichen Ländern durch Mehrheitsentscheidungen des Gesetzgebers geändert und durch höchstrichterliche Urteile bestätigt worden (Ehe für alle). Die Kirche hat diesem Drängen mehr oder weniger entschieden widersprochen. Mit der Zulassung bzw. Einführung von Segensfeiern für Paare, die sich lieben, nimmt sie Druck aus diesem faktischen Nebeneinander zweier unterschiedlicher Auffassungen von Ehe. Das gewährt ihr Ruhe und zeitlichen Aufschub. Die sollten die Verantwortlichen und Theologen nutzen, um die Gründe ihres Festhaltens am überkommenen Verständnis so überzeugend und ohne Diskriminierung zu fundieren, dass auch normale Katholiken, das meint solche, die kein Theologiestudium absolviert haben, nachvollziehen können, worin der Unterschied zwischen Segnung und Trauung besteht. Der Handlungstext plädiert diesbezüglich für «ein inklusives Verständnis des Ehesakraments, das nicht als höchster und bester Massstab für die Bewertung oder gar Abwertung anderer Formen des Liebens dient, sondern als Verdeutlichung und Verdichtung einer möglichen Gemeinschaft und Nähe Gottes». Und weiter und sehr dicht heisst es dann sogar: «Auf diese Weise birgt die Auseinandersetzung mit Segensfeiern die Chance, die sakramentale Eheschliessung stärker zu profilieren als eine bewusste Entscheidung der Eheleute, in ihrer Ehe die Liebe Gottes zu seiner Kirche sichtbar zu machen und zu verkündigen.»