Christsein ist heute im Kontext der Weltreligionen zu verstehen. Dabei gilt es, der Gottesfrage, den Religionsstiftern, den heiligen Schriften und der religiösen Praxis besondere Aufmerksamkeit zu geben. Denn der Dialog zwischen Christen und den Angehörigen der grossen Religionen ist heute zentral. Das thematisiert «Unser Gott – euer Gott», ein neuer Band in der theologischen Reihe der Edition NZN. 

von Stephan Leimgruber 

Nicht nur hat sich die Weltbevölkerung seit 1900 mit 1,619 Milliarden bis 1970 (3,696 Milliarden) verdoppelt und bis 2020 (7,875 Milliarden) nochmals verdoppelt, also in den letzten 120 Jahren vervierfacht, auch die einzelnen Religionen sind enorm gewachsen: Buddhismus mit 550 Millionen der Hinduismus mit 1,1 Milliarden, der Islam in seinen diversen Richtungen mit 1,9 Milliarden und das Christentum in seinen Konfessionen mit 2,5 Milliarden Angehörigen. Einzig das Judentum ist auf 14,8 Millionen Angehörige zurückgegangen. Hinzu kommt, dass Angehörige einzelner Religionen nicht mehr abgeschottet voneinander in konfessionellen Räumen leben, sondern vielmehr in kulturell und religiös gemischten Landschaften. Deshalb stellt sich neu die Aufgabe, die religiöse Identität im Kontext der weiteren Religionen zu situieren und zu artikulieren. Jesus beispielsweise wird (schon länger) auch von anderen Religionen wahrgenommen und in seiner Bedeutung bestimmt. Christsein erhält ein neues Profil im Kontext der grossen Religionen. Für das interreligiöse Lernen werden kulturelle und religiös-theologische Ähnlichkeiten und Differenzen erarbeitet. Gefragt wird heute, was denn Angehörige der abrahamitischen Religionen miteinander verbindet und was sie voneinander unterscheidet. 

Die frühere Sicht, wonach Heil und Rettung nur in der römisch-katholischen Kirche möglich sind, erübrigt sich damit. Denn in den anderen Religionen gibt es auch Wahres und Heiliges, wie das Zweite Vatikanum festgestellt hat. Das erfordert neu Respekt und Anerkennung im Umgang mit den Angehörigen anderer Religionen. Ja, diese können die Einheimischen bereichern in vielerlei Hinsicht. So haben zahlreiche Christen im Buddhismus eine Chance gesehen, um im meditativen Bereich neue Impulse zu erhalten. Ziel ist aber keine Mischmaschreligion auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Mit Mutter Teresa gilt die Absage an missionierendes Überreden. Stattdessen sollen Hindus bessere Hindus, Muslime bessere Muslime und Christen bessere Christen werden. In der Tat kann sich über den Umweg der Kenntnis der Weltreligionen ein neuer Zugang zur eigenen Religion eröffnen und damit «das Eigene im Spiegel des Anderen neu, besser und womöglich tiefer» erschliessen. Für die nachwachsende Generation ist es unentbehrlich, interreligiöse und interkulturelle Kompetenzen aufzubauen. Interkulturelles Lernen tendiert zu Achtung und Verstehen des Anderen, woraus sich eine neue persönliche Identität entwickeln kann. Interkulturell kompetent ist, wer sich in mindestens zwei Kulturen zurechtfinden, sein Verhalten adaptieren und sich verständigen kann. Nötig hierbei ist, dass von einer Gleichwertigkeit der Kulturen ausgegangen und die fremde Kultur nicht als minderwertig oder als unterentwickelt betrachtet wird. Denn jede Kultur hat ihre je eigene Geschichte und ihren eigenen Weg. Statt die andere Religion in ihren vermeintlichen Defiziten zu verbrämen, ist heute interreligiöse Kompetenz angesagt. Diese beginnt auf der ästhetischen Ebene und will eine andere Religion zunächst als speziellen eigenen «Klangkörper» kennenlernen. Alle Einzelelemente schwingen im Zusammenhang mit den Grundannahmen dieser Religion mit und sind aus dem Ganzen heraus zu begreifen. Dann können durch eine komparative Methodik Einzelelemente verglichen und Entsprechungen zur eigenen Religion gesucht werden. 

Grundlegende Voraussetzung für den interreligiösen Dialog ist die Bereitschaft, sich auf die Angehörigen der jeweils anderen Kultur und Religion einzulassen. Der Priester und Religionsphilosophe Raimon Panikkar, ein bedeutender Vertreter des interreligiösen Dialoges, und andere haben die Erfahrung gemacht, dass der Dialog die Menschen verwandelt und sie anders entlässt, als sie ihn begonnen haben. 

«Unser Gott – eurer Gott»
Dieser Studiengang von Stephan Leimgruber ist bei der Edition NZN im Theologischen Verlag Zürich (TVZ) erschienen. Die theologische Reihe, betreut von Felix Senn und Markus Zimmer, erleichtert Theologieinteressierten das Selbststudium wie die Vorbereitung auf Prüfungen im theologischen Grundstudium. Sie wird von der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) sowie der katholischen Kirche im Kanton Zürich unterstützt. Ohne grosszügige Zuschüsse zu den Publikationskosten gäbe es in der Schweiz keine theologischen Bücher mehr. Die Reihe zeigt buntes theologisches Schaffen von durchwegs schweizerischen Theologinnen und Theologen zu Beginn des dritten Jahrtausends.