Was heute überrascht: Zum Ende der Weimarer Republik zählte man in Deutschland die meisten Zeitungen in der Geschichte. 1932 gab es 4703 Wochen- und Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von 25 Millionen Exemplaren. Daran hatte auch die jüdische Presse ihren Anteil. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte sie wieder auf.

Christoph Gutknecht

 

Zur jüdischen Presse der damaligen Zeit konstatierte das Philo-Lexikon – Handbuch des jüdischen Wissens (1934): «Rund 60 Blätter erscheinen in einer monatlichen Gesamtauflage von 1 135 000; bei einer Gesamtzahl von 475 000 Juden in Deutschland bedeutet das, dass jeder deutsche Jude monatlich zwei jüdische Zeitungen liest.»

Die mit dem NS-Regime und dem Zweiten Weltkrieg verstummte deutsch-jüdische Presse erhob ihre Stimme erst wieder in den 1946 von der US-Militärverwaltung errichteten Sonder-Auffanglagern. Den auf Jiddisch schèjresshapléjte, die wenigen Überlebenden, gewährte man eine gewisse Autonomie. Neben Broschüren und praktischen Anleitungen verfassten sie Lagerzeitungen und überregionale Publikationen – meist auf Jiddisch, dies jedoch, da erst Ende 1947 hebräische Lettern zur Verfügung standen, vorerst in lateinischer Transliteration, basierend auf polnischer Orthografie. Im britischen Camp Belsen erschien im Juli 1945 erstmals Unzer Sztyme – in Ermangelung technischer Voraussetzungen in handgeschriebener Form. Die Zeitung im Duppel Center, ein Lager im amerikanischen Sektor Berlins, hiess Unzer Leben. In hessischen Lagern gab es in Marburg die Jüdische Rundschau/The Jewish Review, daneben in Frankfurt-Zeilsheim Undzer Mut und Unterwegs, in Eschwege Undzer Hofenung, in Bad Salzschlirf bis September 1946 das Salzschlirfer Leben, in Lampertheim bis Mai 1949 die Frayhayt.

 Vielfältig war auch die bayerische Lagerpresse. Von 1946 bis 1949 war das Camp Tikwa (Hoffnung) in Bad Reichenhall Zuflucht jüdischer Überlebender, deren Zeitung war Der Morgn. Die seit 1945 edierte Landsberger Lager Cajtung – ab 1946 in Jidisze Cajtung umbenannt – genoss hohes Ansehen. Diskutiert wurden die Zukunftsperspektiven eines jüdischen Staates, die Aktivitäten der zionistischen Bewegung und Einwanderungsmöglichkeiten von Europa. Im Oktober 1945 besuchte David Ben-Gurion den Ort und sorgte für räumliche Verbesserungen im überbelegten Lager.

Das Lager-Komitee im Kloster Indersdorf, wo von 1946 bis 1948 jüdische Jugendliche im Auftrag der International Refugee Organization von den Barmherzigen Schwestern betreut wurden, verlegte fünf Ausgaben der ungarischen Postille Uj Elet (Neues Leben). Neben der Deggendorf Center Review als Organ der zionistischen Achida-Organisation erschienen die Wochenzeitung Cum Ojfboj sowie die Center Review/Revue auf Jiddisch und Deutsch. In Föhrenwald las man die Wochenzeitung Bamidbar (Die Wüste), in Feldafing Dos Fraje Wort, Dos Jiddishe Wort und das Feldafinger Magazin, im schwäbischen Leipheim A Heim, in Stuttgart-West die Blätter Oyf der Fray und Shtut-garter Byuletin. Viele Artikel heben hervor, dass das politische Leben in den Lagern von einer Dominanz des Zionismus geprägt wurde. Die meisten jüdischen Überlebenden betrachteten das Lager als eine Art Wartesaal – bis sich ihnen die Chance bieten würde, Europa zu verlassen.

In Windsheim und in Hof gab es ein Lager-Biuletin. In Bamberg erschien bis Dezember 1947 in 7500 Exemplaren Undzer Wort: Wochn-Szrift/arojsgegebn durchn C.K. fun die bafraijte Jidn in Franken. Die Zeitung druckte Suchmeldungen, schrieb über das Camp-Leben und dokumentierte international geführte Debatten. So schrieb sie Anfang 1947: «In der amerikaner cajtszrift ‹Colliers Weekly› hot Churchill wider farefntlecht an artikl wegn der nojtwendikajt cu szafn ›Farejnikte Sztatn fun Eijrope‹ … Frankrajch darf nehmen di Dajczn far der hant un curikfirn zej in der briderlecher menczn-gemajnszaft.» Alle Lager wurden bis 1950 geschlossen, bis auf Föhrenwald, das bis 1956 existierte.