Als Anfang dieser Woche in Bex (VD) die Schweizer Bischofskonferenz tagte, stand die Forderung der Römisch-katholischen Zentralkonferenz im Raum, das kirchliche Arbeits- und Anstellungsrecht zu reformieren. Intime Lebens- und Partnerschaftsformen sollen nicht mehr anstellungs- oder kündigungsrelevant sein.

Hanspeter Schmitt

 

Die staatskirchenrechtlichen Organe reagieren auf die Einsicht, dass die verheerenden Taten sexualisierter Gewalt im Umfeld der Kirche auch strukturelle Ursachen haben. Sie stehen mit der tradierten kirchenamtlichen Sexual- und Ehelehre in Verbindung. Welche Konsequenzen das Postulat hat, lässt sich derzeit nicht sagen. Jedoch gibt es starke ethische Gründe, die entsprechende Reformen unausweichlich machen:

  • Institutionenethisch ist es keine Frage, dass Institutionen Ansprüche an ihre Angestellten richten dürfen: die Einhaltung verfassungs- und menschenrechtlicher Prinzipien und – spezifisch institutionell – das vertraglich geregelte Engagement sowie Loyalität zur Identität und Aufgabe der Institution und zu ihren Rollenträgern. Diese Ansprüche sind aber durch das Grundrecht auf Privatsphäre definitiv begrenzt. Dazu zählen Entscheidungen, die die freie Wahl intimer Partnerschafts- und Familienformen betreffen. Im Gegenteil sind Institutionen aufgrund ihrer Fürsorgepflicht gefordert, den Schutz dieser Privatsphäre ihrer Angestellten und ihre damit verbundene legitime Selbstentfaltung proaktiv zu fördern. Jedes institutionelle Gebaren, das diesen Schutzraum bestreitet oder verletzt, ist eine systemische Übergriffigkeit, die der Würde der Betroffenen zuwiderläuft.
  • Dem hält man entgegen, dass es zur katholischen Identität zähle, für praktizierte Sexualität die unauflösliche fortpflanzungsoffene Ehe zwischen Mann und Frau als einzigen sittlichen Ort anzusehen. Es schade der Glaubwürdigkeit der Kirche, wenn ihre Angestellten diese Lehre nicht nachvollziehen oder anders leben würden. Dieser Einwand ist jedoch gemeindeethisch nicht zu halten! Erstens besteht die Identität der Kirche nicht in einer bestimmten Moral, sondern in der Güte Gottes, die allen zuteilwerden soll. Zweitens leidet in Kirchgemeinden und in der Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit kirchlicher Botschaft und ihrer Protagonisten nicht, wenn sie gewissenhaft, human und am Evangelium orientiert leben – auch wenn dabei Ideale hinter bestmögliche Lösungen zurücktreten. Drittens ist die Kirchenbasis überzeugt, dass es werthaltige, personal gelebte Intimität und Liebe nicht nur in der klassischen Ehe und Familie gebe, sondern genauso in anderen, auch gleichgeschlechtlichen Formen. Nicht sie wirken also unplausibel, sondern Personen, die solche Formen diskreditieren!
  • Theologieethisch gesehen ist der Kern des Problems einmal mehr die kirchenamtliche Blockade, was die Anerkennung der Vielfalt personalen Liebens sowie seiner Zugänge und Lernwege angeht. Die Überzeugungen der Gläubigen und Menschen dringen zu selten in die Wahrnehmung, Theologie und Ethik jener vor, die in der Kirche die Macht haben. Es bedarf folglich einer Reform kirchlicher Macht- und Entscheidungssystematik, damit diese Überzeugungen nicht strukturell diskriminiert, sondern amtstheologisch wirksam werden. Eine Voraussetzung dafür ist die Einsicht, dass Moralkonzepte, die man durch bestimmte theologische Konstrukte zeitlos zu begründen suchte, überhaupt nicht zeitlos gültig sind. Sie können und dürfen nicht gegen die aktuelle sittliche Erkenntnis mündiger Menschen und die Expertise ausgewiesener Fachleute immunisiert werden. Deshalb stehen Amtsträger in der Pflicht, sich auf diese Erkenntnisse einzulassen, um Reformen auch der besagten institutionellen Rahmenbedingungen und Normen in die Wege zu leiten. Mittels einer – bis dato fehlenden – partizipativen wie transparenten Kultur lehramtlicher Prozesse wird das möglich sein.

 

Präsidium und Plenarversammlung der Römisch-katholischen Zentralkonferenz stützen ihre Forderung auf diesbezügliche Reformen, die die deutschen Bischöfe durch die Änderung der «Grundordnung des kirchlichen Dienstes» im Jahr 2022 vollzogen haben. Dort heisst es in Artikel 7: «Der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre, bleibt rechtlichen Bewertungen entzogen.» Dem ging ein jahrelanger Reflexionsprozess voraus, in den sämtliche Erfahrungen und Betroffene einbezogen wurden. Ein solcher Prozess steht in der Schweizer Katholischen Kirche jetzt an. Kompetenzen, guter Wille und Ansätze dafür gibt es, was auch der im Bistum Chur geltende Verhaltenskodex beweist. Dort lautet ein Qualitätsstandard: «In jedem Fall unterlasse ich offensives Ausfragen zum Intimleben und zum Beziehungsstatus. Das gilt auch für Gespräche, die ich als Vorgesetzte*r führe.» Es gilt, den mit dieser Norm intendierten Schutz der Privatsphäre kirchlicher Angestellter und Mitarbeitender institutionenrechtlich umfassend zu implementieren. Es muss Schluss sein mit der Übergriffigkeit der Kirche, verursacht durch ihre gewaltförmigen Strukturen, Ideologien und Normen.