Die europäische Handels- und Rohstoffpolitik muss strategisch und nachhaltig ausgerichtet werden. Denn massive Umweltzerstörungen in der globalen Rohstoffproduktion gehen auf Kosten von Menschen, Umwelt und Klima, erklärt hier Anna Cavazzini, Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im Europarlament (Grüne/Deutschland).  

 

Zamora Chinchipe ist eine Provinz in Ecuador, nahe der peruanischen Grenze, im Einzugsgebiet des Amazonas-Regenwaldes. Die Region zeichnet sich durch ihre Artenvielfalt und indigenen Völker aus. Aber auch die Bergbauindustrie hat die Provinz für sich entdeckt. Hoch oben im Condor-Gebirge liegt die Kupfermine Mirador. 2019 wurde sie von einem chinesischen Staatskonzern in Betrieb genommen und soll jährlich 96 000 Tonnen Kupferkonzentrat fördern. Für den Bau der Mine wurden über 1300 Hektar Regenwald abgeholzt. Seitdem verseuchen Abwässer der Mine die angrenzenden Flüsse. Ein Staudamm, in dem Millionen Tonnen toxische Minenschlämme lagern, droht zu brechen. Auch die Menschen vor Ort leiden: Einheimische werden gezwungen, umzusiedeln, worüber die humanitären Organisationen PowerShift und Rettet den Regenwald berichteten.

Leider ist das kein Einzelfall. 2019 hat in Brasilien der Dammbruch einer Eisenerzmine mehrere Hundert Menschen in den Tod gerissen und das Ökosystem des angrenzenden Flusses zerstört. Immer wieder kommt es weltweit beim Abbau von Rohstoffen zu schweren Verstössen gegen die Menschenrechte und massiver Zerstörung der Umwelt.

In den letzten drei Jahren hat sich unsere Welt verändert und mit ihr unsere weltweiten Handels- und Rohstoffströme. Die Coronapandemie und der russische Angriffskrieg haben uns schonungslos vor Augen geführt, wie abhängig wir von Rohstoffimporten einzelner Länder und wie fragil unsere globalen Lieferketten sind. Gerade im Bereich der Metalle.

Doch wir haben noch nicht grundsätzlich umgedacht, unseren Bedarf an Rohstoffen noch nicht reduziert. Ob im Handy, Auto, Münzgeld oder in der Waschmaschine: Metallische Rohstoffe finden sich nach wie vor überall. Prognosen zufolge wird der Bedarf an Rohstoffen noch deutlich steigen, da sie für Schlüsseltechnologien wie die Elektromobilität oder zum Bau von Solar- und Windanlagen benötigt werden. Sie sind zentral für die nötige Energiewende.

Wenn wir nichts ändern an unserer Art, zu konsumieren und zu wirtschaften, bräuchten wir bis 2050 drei Erden, um unseren Rohstoffhunger zu stillen. Schätzungen des Stockholm Environment Institute zufolge verursachen Importe in die Europäische Union (EU)  16 Prozent der weltweiten Abholzung des Regenwaldes. Die Gründe für eine Rohstoffwende sind zahlreich und gewichtig: weg von der Wegwerfgesellschaft und Ausbeutung von Natur und Mensch hin zu einer strategischen Autonomie der EU, Einhaltung hoher Umwelt- und Sozialstandards und dem Ausbau einer echten Kreislaufwirtschaft mit Blick auf einen Nullressourcenverbrauch. Hierfür setzen wir Grünen uns sowohl in der Bundesregierung als auch im Europaparlament und auf der internationalen Bühne ein. Die drei Grundpfeiler unserer grünen Strategie, um die Versorgungssicherheit und gleichzeitig Erreichung der Klimaziele sicherzustellen, sind erstens der Ausbau der Kreislaufwirtschaft, zweitens Sorgfaltspflichten in Lieferketten und drittens deren Diversifizierung.

Kreislaufwirtschaft bedeutet nicht nur eine effiziente Abfall- und Recyclingwirtschaft, sondern auch eine Abkehr von unserer bisherigen linearen Wirtschaftsweise. Durch zirkuläres Wirtschaften gehen wir effizient und schonungsvoll mit Ressourcen um, verwenden sie so lange wie möglich (wieder), damit Abfall gar nicht erst entsteht. Das ist der erste Grundpfeiler: eine klimaneutrale Wirtschafts- und Lebensweise, und zwar so schnell wie möglich.

Den Schirm dafür spannt der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft im Rahmen des EU Green Deal, mit dem sich die EU zur Klimaneutralität bis 2050 verpflichtet hat. Der Aktionsplan beinhaltet eine ganze Bandbreite an Massnahmen, wie das Update der Ökodesign-Richtlinie. Denn um Stoffströme geschlossen zu halten, müssen wir beim Design von Produkten anfangen: langlebig, umweltfreundlich und recyclinggerecht. Das ist vor allem bei Elektrogeräten von grosser Bedeutung. Sie sind besonders rohstoffintensiv, zugleich ist Elektroschrott der am schnellsten wachsende Müllberg der Welt. Oftmals verstauben Smartphones nach wenigen Jahren in der Schublade, da eine Reparatur zu teuer oder nicht möglich ist. Um das zu ändern, arbeiten wir ausserdem an einem europäischen Recht auf Reparatur.

Auch beim Recycling müssen wir deutlich besser werden. In Deutschland liegt der recycelte Materialanteil aktuell bei unter 13 Prozent – damit landen wir EU-weit auf Platz sechs. Im Aktionsplan Kreislaufwirtschaft fordert die EU-Kommission höhere Recy­clingquoten, bis 2030 sollen sie sich verdoppeln.

Zweitens brauchen wir ehrgeizige Umwelt- und Sozialstandards in den Lieferketten, um den weitverbreiteten Verstössen gegen die Menschenrechte insbesondere im Rohstoffabbau zu begegnen. Durch die Einführung verbindlicher menschenrechtlicher und ökologischer Sorgfaltspflichten für Unternehmen kann das europäische Lieferkettengesetz, das ich gerade im Parlament mit verhandle, eine bahnbrechende Wirkung entfalten.

Die EU will den Handel mit Produkten aus Zwangsarbeit im Binnenmarkt verbieten. Sie legte einen entsprechenden Gesetzesvorschlag im Herbst vergangenen Jahres vor und reagierte dabei auf eine Forderung der Grünen. Derzeit sind weltweit circa 28 Millionen Menschen von Zwangsarbeit betroffen, auch im Bergbau. Ein solches Gesetz wird das Lieferkettengesetz ergänzen und unsere Rohstofflieferketten frei von Menschenrechtsverbrechen machen.

Klar ist, dass wir unseren Ressourcenverbrauch grundsätzlich reduzieren, aber unseren Rohstoffimport diversifizieren müssen. Wir müssen uns breiter und nachhaltiger aufstellen und dabei die Menschenrechtslage und geostrategischen Realitäten stärker berücksichtigen. Diese Ansprüche müssen wir auch im EU Critical Raw Material Act verankern, der gerade ausformuliert wird.

Hier in Europa verfügen wir über umweltschonende Technologien und gute Arbeitsbedingungen. Auch im Sinne unserer Unabhängigkeit wird zunehmend gefordert, die Förderung von Rohstoffen nach Europa zurückzuholen. Klar ist, dass ein solcher Abbau nicht in Umweltschutzgebieten und nur unter höchsten Umweltstandards sowie in enger Absprache mit der lokalen Bevölkerung stattfinden darf.